Interne Analyse für das Krisenmanagement von Pandemien (Bundesministerium des Inneren)

(Text als pdf: https://www.afd-bgl.de/wp-content/uploads/2021/03/Analyse-des-Krisenmanagements1.pdf)

 

KM4 Analyse des Krisenmanagements (Kurzfassung)

Vorbemerkung: Aufgabe und Ziel von Krisenstäben und jeglichem Krisenmanagement ist es, besondere

Gefahren zu erkennen und sie so lange zu bekämpfen, bis der Normalzustand wieder erreicht ist. Ein

Normalzustand kann also keine Krise sein.

Zusammenfassung der Analyseergebnisse

  1. Das Krisenmanagement hat in der Vergangenheit (leider wider besseren institutionellen Wissens)

keine adäquaten Instrumente zur Gefahrenanalyse und –bewertung aufgebaut. Die Lageberichte,

in denen alle entscheidungsrelevanten Informationen zusammen gefasst werden müssten,

behandeln in der laufenden Krise bis heute nur einen kleinen Ausschnitt des drohenden

Gefahrenspektrums. Auf der Basis unvollständiger und ungeeigneter Informationen in den

Lagebildern ist eine Gefahreneinschätzung grundsätzlich nicht möglich. Ohne korrekt erhobene

Gefahreneinschätzung kann es keine angemessene und wirksame Maßnahmenplanung geben.

Das methodische Defizit wirkt sich bei jeder Transformation auf eine höhere Ebene aus; die

Politik hatte bisher eine stark reduzierte Chance, die sachlich richtigen Entscheidungen zu

treffen.

  1. Die beobachtbaren Wirkungen und Auswirkungen von COVID-19 lassen keine ausreichende Evidenz

dafür erkennen, dass es sich – bezogen auf die gesundheitlichen Auswirkungen auf die

Gesamtgesellschaft – um mehr als um einen Fehlalarm handelt. Durch den neuen Virus bestand

vermutlich zu keinem Zeitpunkt eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahr für die

Bevölkerung (Vergleichsgröße ist das übliche Sterbegeschehen in DEU). Es sterben an Corona im

Wesentlichen die Menschen, die statistisch dieses Jahr sterben, weil sie am Ende ihres Lebens

angekommen sind und ihr geschwächter Körper sich beliebiger zufälliger Alltagsbelastungen nicht

mehr erwehren kann (darunter der etwa 150 derzeit im Umlauf befindlichen Viren). Die

Gefährlichkeit von Covid-19 wurde überschätzt. (innerhalb eines Vierteljahres weltweit nicht

mehr als 250.000 Todesfälle mit Covid-19, gegenüber 1,5 Mio. Toten während der Influenzawelle

2017/18). Die Gefahr ist offenkundig nicht größer als die vieler anderer Viren. Wir haben es aller

Voraussicht nach mit einem über längere Zeit unerkannt gebliebenen globalen Fehlalarm zu tun.

– Dieses Analyseergebnis ist von KM 4 auf wissenschaftliche Plausibilität überprüft worden und

widerspricht im Wesentlichen nicht den vom RKI vorgelegten Daten und Risikobewertungen.

  1. Dass der mutmaßliche Fehlalarm über Wochen unentdeckt blieb, hat einen wesentlichen Grund

darin, dass die geltenden Rahmenvorgaben zum Handeln des Krisenstabs und des

Krisenmanagement in einer Pandemie keine geeigneten Detektionsinstrumente enthalten, die

automatisch einen Alarm auslösen und den sofortigen Abbruch von Maßnahmen einleiten

würden, sobald sich entweder eine Pandemiewarnung als Fehlalarm herausstellte oder

abzusehen ist, dass die Kollateralschäden – und darunter insbesondere die Menschenleben

vernichtenden Anteile – größer zu werden drohen, als das gesundheitliche und insbesondere das

tödliche Potential der betrachteten Erkrankung ausmacht.

  1. Der Kollateralschaden ist inzwischen höher ist als der erkennbare Nutzen. Dieser Feststellung

liegt keine Gegenüberstellung von materiellen Schäden mit Personenschäden (Menschenleben)

zu Grunde! Alleine ein Vergleich von bisherigen Todesfällen durch den Virus mit Todesfällen

durch die staatlich verfügten Schutzmaßnahmen (beides ohne sichere Datenbasis) belegen den

Befund. Eine von Wissenschaftlern auf Plausibilität überprüfte überblicksartige

Zusammenstellung gesundheitlichen Kollateralschäden (incl. Todesfälle) ist unten angefügt.

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  1. Der (völlig zweckfreie) Kollateralschaden der Coronakrise ist zwischenzeitlich gigantisch. Ein

großer Teil dieses Schadens wird sich sogar erst in der näheren und ferneren Zukunft

manifestieren. Dies kann nicht mehr verhindert, sondern nur noch begrenzt werden.

  1. Kritische Infrastrukturen sind die überlebensnotwendigen Lebensadern moderner

Gesellschaften. Bei den Kritischen Infrastrukturen ist in Folge der Schutzmaßnahmen die aktuelle

Versorgungssicherheit nicht mehr wie gewohnt gegeben (bisher graduelle Reduktion der

prinzipiellen Versorgungssicherheit, die sich z.B. in kommenden Belastungssituationen

niederschlagen kann). Die Resilienz des hochkomplexen und stark interdependenten

Gesamtsystems Kritischer Infrastrukturen ist gesunken. Unsere Gesellschaft lebt ab sofort mit

einer gestiegenen Verletzlichkeit und höheren Ausfallrisiken von lebenswichtigen

Infrastrukturen. Das kann fatale Folgen haben, falls auf dem inzwischen reduzierten

Resilienzniveau von KRITIS eine wirklich gefährliche Pandemie oder eine andere Bedrohung

eintreten würde.

UN-Generalsekretär António Guterres sprach vor vier Wochen ein grundlegendes Risiko an.

Guterres sagte (laut einem Tagesschaubericht vom 10.4.2020): „Die Schwächen und mangelhafte

Vorbereitung, die durch diese Pandemie offengelegt wurden, geben Einblicke darin, wie ein

bioterroristischer Angriff aussehen könnte – und [diese Schwächen] erhöhen möglicherweise das

Risiko dafür.“ Nach unseren Analysen ist ein gravierender Mangel in DEU das Fehlen eines

adäquaten Gefahrenanalyse und –bewertungssystem in Krisensituationen (s.o.).

  1. Die staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen, sowie die vielfältigen gesellschaftlichen

Aktivitäten und Initiativen, die als ursprüngliche Schutzmaßnahmen den Kollateralschaden

bewirken, aber inzwischen jeden Sinn verloren haben, sind größtenteils immer noch in Kraft. Es

wird dringend empfohlen, sie kurzfristig vollständig aufzuheben, um Schaden von der

Bevölkerung abzuwenden – insbesondere unnötige zusätzliche Todesfälle – , und um die

möglicherweise prekär werdende Lage bei den Kritischen Infrastrukturen zu stabilisieren.

  1. Die Defizite und Fehlleistungen im Krisenmanagement haben in der Konsequenz zu einer

Vermittlung von nicht stichhaltigen Informationen geführt und damit eine Desinformation der

Bevölkerung ausgelöst. (Ein Vorwurf könnte lauten: Der Staat hat sich in der Coronakrise als einer

der größten fake-news-Produzenten erwiesen.)

Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich:

  1. a) Die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Rechte von z.B. Bürgern ist derzeit nicht gegeben, da

staatlicherseits keine angemessene Abwägung mit den Folgen durchgeführt wurde. Das BVerfG

fordert eine angemessene Abwägung von Maßnahmen mit negativen Folgen (PSPP Urteil vom 5.

Mai 2020).

  1. b) Die Lageberichte des Krisenstabs BMI-BMG und die Lagemitteilungen des Bundes an die Länder

müssen daher ab sofort

o eine angemessene Gefahrenanalyse und -bewertung vornehmen.

o eine zusätzliche Abteilung mit aussagekräftige Daten über Kollateralschäden enthalten

(siehe z.B. Ausführungen in der Langfassung)

o befreit werden von überflüssigen Daten und Informationen, die für die

Gefahrenbewertung nicht erforderlich sind, weil sie die Übersicht erschweren.

o Es müssten Kennzahlen gebildet und vorangestellt werden.

  1. c) Es ist unverzüglich eine angemessene Gefahrenanalyse und –bewertung durchzuführen.

Anderenfalls könnte der Staat für entstandene Schäden haftbar sein.

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Erläuterungen zum besseren Verständnis von Wirkzusammenhängen in einer Pandemie

Eine schwere Pandemie ist sehr selten und somit eine große Herausforderung. Die zuständigen Behörden

müssen eine Krisensituation bewältigen, für die es keine Erfahrungswerte gibt.

In der Abteilung KM des BMI und im BBK werden regelmäßig (zusammen mit anderen Behörden wie dem

RKI, teilweise Federführung des Kooperationspartners) Notfallvorsorgepläne, Pandemiepläne und weitere

organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen für die Bekämpfung auch von Pandemien entwickelt.

In der Vergangenheit wurden zu dem Szenario einer Pandemie zwar gelegentlich Studien erstellt, seltener

große Übungen durchgeführt und noch seltener ausführlichere Risikoanalysen erhoben. Aber alle diese

Arbeiten konnten in der gegenwärtigen Krise nicht viel mehr als einen groben Rahmen bieten. Denn für ein

gutes, reibungslos ablaufendes Krisenmanagement bedarf es vor allem vieler Erfahrungen mit

gleichartigen Krisen- und Übungssituationen und der steten Nachbesserung von Rahmenbedingungen. Im

Bereich der Feuerwehr und im Rettungswesen ist das über die Jahre immer weiter optimiert worden. Im

Falle einer Pandemie kann auf keiner Routine aufgebaut werden und das bedeutet, dass die meisten

Handelnden schlecht vorbereitet und überfordert sein werden, und dass dem Krisenmanagement Fehler

unterlaufen werden.

Ausgangspunkt einer Krisenintervention ist immer das Vorhandensein einer besonderen Gefahrenlage.

Feststellung einer besonderen Gefahrenlage (Pandemie)

Die Feststellung einer besonderen Gefahrenlage setzt nicht zwingend voraus, dass ein Schaden bereits

eingetreten ist. Im Falle einer vermuteten Pandemie wird eine Abschätzung möglicher Schäden

vorgenommen, die ohne Schutzmaßnahmen voraussichtlich eintreten würden. Diese Abschätzung muss im

Verlauf einer Pandemie laufend aktualisiert werden, weil sie zuerst lediglich eine plausible Vermutung ist.

Wenn diese Plausibilität nicht mehr gegeben ist, oder wenn eine entgegenstehende Bewertung plausibler

erscheint, oder wenn das Schadausmaß in angemessener Zeit keine außergewöhnliche Höhe erreicht, liegt

keine besondere Gefahrenlage (mehr) vor.

Schutzmaßnahmen als eigene Gefährdungsquelle – Eintritt einer Multi-Gefahrenlage

Schutzmaßnahmen können nicht beliebig präventiv eingesetzt werden, weil auch sie das Potential in sich

tragen, außergewöhnliche Schäden zu erzeugen. Es gibt in einer Pandemie also immer mindestens zwei

Gefahren, die das Krisenmanagement im Blick haben muss: gesundheitliche Schäden durch einen

Krankheitserreger, Kollateralschäden durch Nebenwirkungen der Schutzmaßnahmen oder (als Spezialfall)

einen Fehlalarm.

Aufgrund dieses Dualismus muss im Verlaufe einer Pandemie die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von

außergewöhnlichen Schäden und die voraussichtliche Höhe des entstehenden Schadens für alle

bestehenden Gefahren simultan laufend nachgehalten werden. Die Auswertung von Daten über das

Infektionsgeschehen und die Zahl der Todesfälle reicht dazu bei weitem nicht aus. Dazu eignet sich eine

systematische Multi- Gefahrenanalyse (Kriterien für eine Multi-Gefahrenanalyse enthält die Langfassung).

Bedeutung von Kollateralschäden

Eine zentrale Erkenntnis aus allen bisherigen Studien, Übungen und Risikoanalysen ist, dass bei der

Bekämpfung einer Pandemie stets Kollateralschäden entstehen (als Auswirkungen von ergriffenen

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Schutzmaßnahmen), und dass diese Kollateralschäden einer Pandemie bedeutend größer sein können, als

der durch den Krankheitserreger erreichbare Schaden.

Ein immer in Kauf zu nehmender Kollateralschaden hat dann das beste Aufwand-Nutzen-Verhältnis, wenn

er nicht größer ist, als zur Erreichung eines Schutzziels mindestens erforderlich ist.

Er hat dann das maximal schlechteste Aufwand-Nutzen-Verhältnis, wenn sich die ursprüngliche Warnung

vor einem unbekannten Virus am Ende als übertrieben oder im Extremfall sogar als Fehlalarm herausstellt,

denn dann besteht der Gesamtschaden der Pandemie ausschließlich aus dem völlig zweckfreien

Kollateralschaden.

Perspektive

Es macht wenig Sinn und man wird einer Lösung nicht näher kommen, wenn man nur versucht, die

genauen Stationen des Versagens des Krisenmanagements minutiös nachzuvollziehen. Abhilfe wird nur

möglich sein, wenn es eine aktive Auseinandersetzung mit jenen systemischen Effekten gibt, die in ihrer

Gesamtdynamik in der Coronakrise zu einer existenziellen Schädigung des Gemeinwesens und auch der

staatlichen Ordnung führen können.

Das Krisenmanagement und der gesamte Staat sind in einer prekären Situation. Es kann zwar beim

genauen Hinsehen keinen vernünftigen Zweifel mehr daran geben,

• dass die Coronawarnung ein Fehlalarm war,

• dass das Krisenmanagement die Arbeit der Gefahrenabwehr suboptimal verrichtet und Fehler

gemacht hat, die einen großen Schaden verursacht haben und jeden Tag weiter verursachen

(einschließlich Todesopfer), an dem die Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden.

Da der Krisenstab und das gesamte Krisenmanagement einschließlich der Politik weitestgehend den

rechtlichen, organisatorischen und sonstigen Rahmenvorgaben entsprechend gehandelt haben, scheint für

sie zunächst jedoch wenig Anlass zu bestehen, Änderungen vorzunehmen. Alleine der in dieser Analyse

herausgearbeitete Befund wird nicht ausreichen, auch dann nicht, wenn die Ergebnisse sachlich richtig

sind und im Interesse des Landes und seiner Bevölkerung eine Umorientierung dringend geboten

erscheint. Schon eine Abstimmung der vorliegenden Analyse mit allen tangierten Stellen der

Ministerialverwaltung würde aufgrund der heterogenen Interessen und Verantwortungslage der

zahlreichen zu Beteiligenden voraussichtlich bzw. erfahrungsgemäß zu einer Nivellierung (oder zum

Aussortieren) ihres Inhaltes führen. Einen regelkonformen Totalschaden für unser Land zu vermeiden ist

vielleicht möglich, derzeit erscheint das jedoch nur mittels kreativer Informationsstrategie derer möglich,

die in der Lage wären, einen praktikablen Ausweg zu ermitteln und zu organisieren.

Eigentlich müsste jetzt eine neue Krise festgestellt und ein Krisenmanagement eingerichtet werden, um

die Gefahren eines verautomatisierten und dadurch außer Kontrolle geratenen Pandemie-

Krisenmanagements zu bekämpfen. Das wäre sachgerecht. Wenn die Exekutive dies nicht aus sich heraus

schafft, gäbe es in einem Staatswesen mit Gewaltenteilung grundsätzlich Korrekturmöglichkeiten:

  1. a) Die gesetzgebende Gewalt (die Parlamente von Bund und Ländern) könnten die gesetzlichen

Rahmenbedingungen ändern und so die Exekutive veranlassen (zwingen), das Krisenmanagement

anders als bisher zu betreiben. Die Legislative hat in den vergangenen Wochen bewiesen, dass sie

kurzfristig Beschlüsse fassen kann.

  1. b) Die Rechtsprechung könnte eingreifen. Die Verfassungsgerichte von Bund und Ländern haben die

Anordnung extremer Beschränkungen elementarer und konstitutioneller Rechte in DEU durch die

Regierungschefs aufgrund einer vermeintlichen außerordentlichen Bedrohung durch einen

gefährlichen Virus für rechtmäßig erachtet. Sie haben jeder grundlegenden Beschwerde, Klage und

jedem Widerstand die Legalität und Legitimität abgesprochen. Bisher taten sie das, ohne eine

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vertiefte Plausibilitätsprüfung durchzuführen. Eine solche ist, wie ich aufgezeigt habe, möglich und

würde den Irrtum entlarven.

  1. c) Grundsätzlich könnten auch die großen elektronischen Massenmedien und die überregionalen

Leitmedien ein Korrektiv bilden. Dass dies faktisch nicht geschieht, muss zwei Überlegungen

provozieren: Die Rahmenbedingungen für Medien sind suboptimal, sie erschweren offenkundig

faktisch die ursprünglich beabsichtigte Meinungsvielfalt in unserem Lande. Die dabei eingetretene

relative Einheitlichkeit orientiert sich nicht etwa an oppositionellen Meinungen und Richtungen

(das könnte theoretisch indirekt einen leicht systemdestabilisierenden Effekt haben) sondern an

etablierten Politikrichtungen, insbesondere an den Intentionen von Regierungen (damit würden

bestehende Regierungen indirekt stabilisiert und gegenüber einer Opposition abgeschirmt, auch in

dem Fall, dass sich ein konkretes Regierungshandeln z.B. aufgrund eines sachlichen Irrtums gegen

die existenziellen Interessen des Landes richtet). Die Leitmedien und vor allem die öffentlich

Rechtlichen scheinen sich offenbar überwiegend als Überträger der als gemeinsam angesehenen

Grundpositionierungen der dominierenden politischen Richtung auf die Bevölkerung zu sehen.

Überblick über die gesundheitlichen Auswirkungen (Schäden) der staatlicherseits

verfügten Maßnahmen und Beschränkungen in der Coronakrise 2020

(Stand: 7. Mai 2020 fin)

Methodische Vorbemerkungen

Aufgeführt sind Risiken, die heute von 10 hochrangigen Experten/Wissenschaftler der jeweiligen

Fachrichtungen für grundsätzlich plausibel gehalten worden sind. Die Auswahl der Experten

erfolgte zufällig, das Ergebnis kann daher nicht repräsentativ sein.

Wichtig für die künftige systematische Erfassung von gesundheitlichen Kollateralschäden in der

Pandemie ist, mindestens Spezialisten der hier einbezogenen wissenschaftlichen Disziplinen zu

konsultieren. Anders ist eine realistische Gesamt-Bestandsaufnahme nicht möglich.

  1. Todesfälle
  2. Aufgrund Einschränkungen der Klinikverfügbarkeiten (und

Behandlungsmöglichkeiten) verschobene oder abgesagte Operationen:

Über alles betrachtet hatten wir im Jahr 2018 insgesamt ca. 17 Mio vollstationärer

Patienten mit OPs. Das sind im Schnitt 1,4 Mio Patienten pro Monat. Im März und

April wurden 90% aller notwendiger OPs verschoben bzw. nicht durchgeführt. Das

heißt 2,5 Mio Menschen wurden in Folge der Regierungsmaßnahmen nicht versorgt.

Also 2,5 Mio Patienten wurden in März und April 2020 nicht operiert, obwohl dies

nötig gewesen wäre. Die voraussichtliche Sterberate lässt sich nicht seriös

einzuschätzen; Vermutungen von Experten gehen von Zahlen zwischen unter 5.000

und bis zu 125.000 Patienten aus, die aufgrund der verschobenen OPs versterben

werden/schon verstarben.

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  1. Aufgrund Einschränkungen der Klinikverfügbarkeiten (und

Behandlungsmöglichkeiten) verschobene oder abgesagte Folgebehandlungen

von (z.B. an Krebs, Schlaganfall oder Herzinfarkt) Erkrankten:

Die negativen Wirkungen von unterbrochenen Versorgungsstrukturen bei

Tumorpatienten, seien es Krebsnachsorge oder auch unterbrochene

Krebsvorsorgeprogramme, wie beim Brustkrebs, liegen auf der Hand, denn diese

Maßnahmen haben ja ihren Nutzen in langen Studien belegt und sind auf dieser

Basis eingerichtet worden.

Es ist auch hier von jährlichen Behandlungszahlen in Millionenhöhe auszugehen. In

einem Teil der Fälle werden die Verfügbarkeitseinschränkungen der Kliniken

ebenfalls zum vorzeitigen Versterben von Patienten führen. Eine Prognose dieses

Effekts ist schwierig. Experten, die sich dazu äußerten, gingen von bis zu mehreren

tausend zusätzlichen Toten aus, die bereits in März und April 2020 verstarben oder

noch versterben werden.

  1. Bei der Versorgung von Pflegebedürftigen (in DEU insgesamt 3,5 Mio. Menschen)

sinkt aufgrund von staatlich verfügten Beschränkungen das Versorgungsniveau und

die Versorgungsqualität (in Pflegeeinrichtungen, bei ambulanten Pflegediensten

sowie bei privat / innerfamiliär durchgeführter Pflege). Da erwiesenermaßen das

gute Pflegeniveau in DEU viele Menschen vor dem vorzeitigen Versterben bewahrt

(das ist der Grund dafür, dass dafür so viel Geld aufgewendet wird), wird die im

März und April 2020 erzwungene Niveauabsenkung vorzeitige Todesfällen

ausgelöst haben. Bei 3,5 Mio. Pflegebedürftigen würde eine zusätzliche Todesrate

von einem Zehntel Prozent zusätzliche 3.500 Tote ausmachen. Ob es mehr oder

weniger sind, ist mangels genauerer Schätzungen nicht bekannt.

  1. Zunahmen von Suiziden (bisher durchschn. 9.000 pro Jahr); Gründe für die

Zunahme von Suiziden: langeandauernde erhebliche Beeinträchtigung aller

Lebensbedingungen, die für psychisch instabile Persönlichkeiten kritisch werden

können; aber auch mit zahlreichen Suiziden als Reaktion auf die wirtschaftliche

Vernichtung von Existenzen ist zu rechnen; diverse Berufsgruppen, die sich ihrer

Belastung durch die gesellschaftlichen und persönlichen Veränderungen und ihrer

persönlichen (Mit)Verantwortung nicht gewachsen fühlen.

  1. Zusätzliche Todesfälle durch Herzinfarkt und Schlaganfall

Über die letzten Jahre und Jahrzehnte wurden integrierte Konzepte entwickelt, die

erfolgreich die Morbidität und Mortalität beeinflusst haben und darauf beruhen, dass

möglichst frühzeitig (im Krankheitsverlauf), möglichst rasch (Zeit bis zur Versorgung)

und möglichst kompetent eine Versorgung erfolgt. Diese inter-sektoralen/-

disziplinären Ketten sind in vielfacher Weise geschädigt (ambulante Versorgung,

Ressourcenentzug) und leiden auch maximal darunter, dass bedingt durch

einseitige und übertriebene Informationspolitik die Betroffenen unberechtigter Weise

Corona mehr als diese Erkrankungen fürchten und Warnzeichen unterdrücken und

auch befürchten mit diesen Erkrankungen in der derzeitigen Corona-Fixierung im

Krankenhaus nicht gut behandelt zu werden. In Konsequenz suchen derzeit viele

Betroffene nicht/zu spät den Arzt auf, was bei diesen Erkrankungen erhöhte

Morbidität, verschlechterte Rehabilitation und erhöhte Mortalität bedeutet.

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  1. sonstige gesundheitliche Schäden (verbunden mit Leid der Betroffenen und hohem

Kosteneffekt für die sozialen Sicherungssysteme, das Gesundheitssystem und den

Arbeitsmarkt)

  1. a) besonders in ihren Kontakten reduzierte alte/pflegebedürftige Menschen sind von

den Maßnahmen betroffen und leiden vielfach stark unter ihnen. Teils

beeinträchtigen die getroffenen Maßnahmen (Grenzschließungen,

Quarantäneregelungen, Kontaktverbote, etc.) die schon vorher kritische

ambulante/stationäre Betreuungssituation negativ (damit auch die optimale

Versorgung in Bezug auf Corona)

  1. b) behandlungsbedürftige (schwerere) Psychosen, Neurosen (Ängste,

Zwangsstörungen, ..) aufgrund von langeandauernde erhebliche Beeinträchtigung

aller Lebensbedingungen, die für psychisch instabile Persönlichkeiten

Krankheitszustände auslösen werden; es sind langjährige medizinische

Behandlungen und Rehabilitationsleistungen zur Kompensation dieser

Beeinträchtigungen nötig, es kommt zu gesundheitsbedingten Arbeitsausfällen. 1 bis

2% der deutschen Gesamtbevölkerung erleben mindestens einmal im Leben eine

Psychose. Wenn eine Disposition oder Anfälligkeit vorliegt, besteht eine erhöhte

Wahrscheinlichkeit, dass sich dies unter den Rahmenbedingungen der Coronakrise

manifestiert.

  1. c) mehr Streitigkeiten und Körperverletzungen in Folge von starken

Kontaktbegrenzungen und Kontaktverbote; Häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch

  1. d) verbreitete Kommunikationsstörungen (durch psychische Effekte, s.o., und auch z.B.

durch den Zwang zur Tragen von Gesichtsmasken, durch die Gestik und Mimik als

Kommunikationsmittel stark eingeschränkt sind (führt zu Missverständnissen,

Misstrauen, L)

  1. b) (abhängig von der wirtschaftlichen/volkswirtschaftlichen Entwicklung:) Verlust an

Lebenserwartung. Dies dürfte langfristig zu einem größeren Schaden der Krise werden.

Seit den 50er Jahren hat DEU aufgrund positiver volkswirtschaftlicher Entwicklung eine

starke Erhöhung der Lebenserwartung realisiert (um 13 bis 14 Jahre längere

durchschnittliche Lebenszeit). Das permanent gestiegene Wohlstandsniveau ermöglichte

u.a. zunehmend aufwendige Gesundheitsvorsorge und Pflege. Bei stark negativer

wirtschaftlicher Entwicklung und einer entsprechenden Reduktion des Wohlstandsniveaus

geht die Entwicklung in die entgegen gesetzte Richtung: die Lebenserwartung wird sinken.

(Das RKI hat nachgewiesen, dass hohe Arbeitslosigkeit die Lebenserwartung senkt.) Bei

über 80 Mio. Einwohnern kann durch staatliche Schutzmaßnahmen (nicht durch den Virus)

ein entsprechend hohes Volumen an Lebensjahren der Bevölkerung vernichtet worden

sein.

Den meisten o.g. Effekten ist gemeinsam, dass es auch nach Aufhebung der Beschränkungen

sehr lange dauern wird, bis diese Maßnahmen und Behandlungen wieder auf Vorniveau laufen,

da hier alle ineinandergreifenden Glieder wieder funktionsfähig sein müssen, die Ressourcen

wieder (rück-)alloziert werden müssen und auch das Vertrauen der Patienten wiederhergestellt

werden muss. Im Übrigen kann es teilweise gegenläufige, auf den ersten Blick paradoxe

Reaktionen, gebenDie Schädigungsphase wird daher voraussichtlich wesentlich länger andauern

als die eigentliche Unterbrechung. Bei einer künftig verkürzten Lebenserwartung setzt der

Schaden sogar erst in der Zukunft ein.

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Da theoretisch, zumindest partiell, auch mit gegenläufigen Effekten gerechnet werden muss –

also mit auf den ersten Blick paradoxen Reaktionen – , ist von genaueren zahlenmäßigen

Schätzungen von zu erwartenden Schadfällen abgesehen worden. Mit den genannten Zahlen

werden Größendimensionen aufgezeigt.

Schlussbemerkungen

Es gibt zwei bedeutende Gründe dafür, dass diese Informationen ohne vorherige Konsultation anderer

zuständiger Stellen direkt versendet werden:

  1. Es ist Gefahr im Verzug! Durch vermeintliche Schutzmaßnahmen entstehen im Moment jeden Tag

weitere schwere Schäden, materielle und gesundheitliche bis hin zu einer großen Zahl von

vermeidbaren Todesfällen. Diese Todesfälle werden durch das Agieren des Krisenmanagements

ausgelöst und sind von diesem zu verantworten sobald das Wissen über die in der hiermit

übermittelten Analyse behandelten Sachverhalte vorliegt – auch von dem Absender dieser

Informationen, der Teil des Krisenmanagements ist. Abhilfe ist nur möglich, wenn das vorhandene

Wissen weitergegeben und zur Kenntnis genommen wird. Alle Möglichkeiten vorgelagerter

Intervention wurden vom Absender ausgeschöpft.

  1. Angesichts des sachlichen Befunds der vorliegenden Analyse und der dazu im Kontrast stehenden

Entscheidungen der Politik, kann bei geschädigten Außenstehenden möglicherweise die

Befürchtung aufkommen, dass das bestimmende Schutzziel des nationalen Krisenmanagements

nicht mehr die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung ist, sondern die Glaubwürdigkeit und

Akzeptanz von Regierungsparteien und Regierungsmitgliedern. Aus derartigen Wahrnehmungen,

die nicht per se irrational sind, kann in einem auf Zusammenhalt angelegten Gemeinwesen eine

ungünstige Dynamik erwachsen, die vor allem mit rationalen Folgeentscheidungen durch

Krisenmanagement und Politik – auf der Basis vollständiger Analysen – gut begrenzt werden kann.

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KM 4 – 51000/29#2 25. April 2020/ 7. Mai 2020

Version: 2.0.1

A U S W E R T U N G S B E R I C H T

des Referats KM 4 (BMI)

Coronakrise 2020 aus Sicht des

Schutzes Kritischer Infrastrukturen

Auswertung der bisherigen Bewältigungsstrategie und Handlungsempfehlungen

Folgende Prämissen liegen meiner Arbeit zu Grunde:

  1. Handlungsleitend und Grundlage von Entscheidungen sollten wahrheitsgemäße,

fundierte Sachverhaltsbeschreibungen sein.

  1. Das Handeln von verantwortlichen Menschen sollte rational sein
  2. Die in demokratischen Wahlen bestimmten Regierungen (Exekutive) auf den Ebenen

Bund, Land und Kommune, haben als höchstes Ziel, die materiellen und ideellen

Interessen der Bevölkerung zu wahren, zu schützen, zu garantieren.

erstellt von ?????????????

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 2 von 83

  1. Vorwort

Die erst wenige Wochen alte Coronakrise dürfte zu den größten Herausforderungen gehören,

mit denen unser Land es je zu tun hatte. Die Krisenstäbe, und das Krisenmanagement als

Ganzes, leisten mit hohem persönlichem Einsatz eine extrem wichtige und zugleich die

schwierigste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Das Krisenmanagement entscheidet

faktisch über Leben und Tod. Es bestimmt mit seinen Entscheidungen, wem unsere

Gesellschaft eine Überlebenschance gibt, und wen sie sterben lässt. Jeden Tag aufs Neue.

Für wen werden welche Behandlungsmöglichkeiten reserviert und wem wird die Behandlung

wie z.B. eine geplante wichtige OP versagt. Weitere Werte unserer Gesellschaft sind bedroht,

materielle (zu denen die Gesundheit gehört) wie ideelle. Auch ein Gemeinwesen kann

„sterben“.

Entscheidungen zu treffen ist unvermeidbar. Ich möchte mit meiner Arbeit einen Beitrag dazu

leisten, dass die Abwägungsprozesse so professionell wie möglich erfolgen können.

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  1. Einführung

1.1 Aufgaben und Arbeitsweise des Referats KM 4:

Referat KM 4 hat den Auftrag (Anlage 1), sich eine eigene Bewertungskompetenz zum

KRITIS-Schutz aufzubauen und auf dieser Basis Stellungnahmen eigeninitiativ und in

Beteiligungsverfahren abzugeben. Dies ist eine solche Stellungnahme.

KM 4 soll weiterhin auf die Konsistenz des KRITIS-Schutzes, die sich vor allem wegen

vielfacher Interdependenzen der Sektoren ergeben, hinwirken. Das ist ein Schwerpunkt der

vorliegenden Ausarbeitung. Für entsprechende Konzepte und Strategien hat, solange nicht

ausschließlich IT-Belange berührt sind, KM 4 im Hause die Federführung und arbeitet eng

zusammen mit: den Bundesressorts, den Bundesländern, der EU, KRITIS-Betreibern,

Verbänden sowie sonstigen betroffenen Institutionen, und kümmert sich um supra- und

internationale Angelegenheiten. KM 4 bedient sich u.a. der Zuarbeit des BBKs, über das KM

4 zu allen Angelegenheiten im KRITIS-Kontext die Fachaufsicht ausübt. Für die Erstellung

dieses Berichts wurden vielfältige Kontakte zu den genannten Stellen aktiviert. Der

Gesamttext ist jedoch nicht abstimmt, sondern wird als eigenständige Expertise mit

Empfehlungen vorgelegt.

1.2 Warum diese Auswertung?

Große Katastrophen wie die einer Pandemie treten sehr selten ein. Die Behörden, die für die

Bewältigung von Krisen zuständig sind, üben zwar regelmäßig verschiedene

Gefährdungsszenarien, unter anderem auch den Fall einer Pandemie, aber sie können

alleine dadurch keine ausreichende Erfahrung sammeln, um in einer real eintretenden Lage

routiniert agieren zu können. In der akuten Krise nutzen sie bestehende Strukturen, Prozesse

und im Vorhinein (teils gesetzlich) festgelegte Verfahren, die in der Vergangenheit nach jeder

der wenigen Übungen optimiert wurden. Der Rest wird improvisiert.

Die aktuelle Coronakrise zeichnet sich durch eine doppelte Gefährdungslage für unsere

Gesellschaft und ihre Kritischen Infrastrukturen aus:

zeitlicher Beginn Gegenstand der Gefahr Risikopotential für KRITIS

Ende 2019 gesundheitliche Gefahren durch den neuen

Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

(Gesundheitskrise); u.a. Risiken für die Versorgung

mit kritischen Dienstleistungen ?

seit etwa Mitte

März 2020

multiple Gefahren unterschiedlicher Art, die durch

Maßnahmen, die zum Schutz vor den

gesundheitlichen Gefahren ergriffen wurden,

ausgelöst werden (Wirtschafts- und

Gesellschaftskrise); u.a. Risiken für die Versorgung

mit kritischen Dienstleistungen

?

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Die beiden Gefahrenlagen gehen ohne zeitliche Unterbrechung in einander über. Für eine

ausführliche und systematische Auswertung des bisherigen Krisenmanagements haben die

operativ darin agierenden Organisationseinheiten und Beschäftigten daher keine Gelegenheit

und Zeit. Alleine dieser Sachverhalt schafft neue Risiken und Gefahren. Der hier vorgelegte

Bericht soll Abhilfe schaffen. Er betrachtet die Lage aus der Perspektive des strategischen

Schutzes Kritischer Infrastrukturen.

Es handelt sich ausdrücklich nicht um ein Produkt für die Öffentlichkeitsarbeit, sondern um

einen internen Bericht, der keinen anderen Zweck verfolgt, als einen fachlich fundierten

Impuls zur Optimierung des Krisenmanagements und zur Maßnahmenplanung zu leisten.

Dieser Bericht ist schonungslos offen – aufgrund seiner Dringlichkeit musste darauf verzichtet

werden, die Inhalte in schönere Worte zu verpacken. Die Leser mögen den direkten Stil

nachsehen und sich vor allem des inhaltlichen Kerns dieser Arbeit bedienen.

Sofern interne Arbeitsprozess reflektiert werden, geschieht das ausschließlich unter streng

fachlichen Aspekten.

1.3 Wen und was meine ich mit „Krisenmanagement“ in diesem Bericht?

In technisch-organisatorischer Hinsicht besteht das Krisenmanagement aus den

professionellen Lagedienste und Krisenstäbe sowie die ihnen zuarbeitenden Stellen – jeweils

beim Bund und in den Bundesländern. Die wichtigsten und auswirkungsstärksten

Entscheidungen werden auf der Ebene von Behördenleitungen und der politischen Leitung

der Ministerien getroffen. Daher gehören auch diese Akteure zum Krisenmanagement. Die

erste Gruppe bildet das operative Krisenmanagement, die zweite das strategische.

Die Beziehungen dieser beiden System-Komponenten untereinander müssen untersucht und,

wie sich zeigt, verbessert werden. Nicht nur zur Verbesserung der Ausgangslage in

zukünftigen Lagen, sondern – ganz besonders dringend – noch jetzt, mitten in der Corona-

Krise. Suboptimale Verfahren im Zusammenspiel von operativem und strategischem

Krisenmanagement können zu schwerwiegenden Fehlleistungen führen und für unsere

Gesellschaft ruinöse Schäden auslösen. Solche, sich derzeit abzeichnende Schäden stehen

nicht mehr im Entferntesten mit den möglichen gesellschaftlichen Schäden durch den Covid-

19 Virus in einem annehmbaren Verhältnis, sie werde diese um ein Vielfaches übertreffen.

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1.4 Der Schutz Kritischer Infrastrukturen

Beim Schutz Kritischer Infrastrukturen geht es außerhalb von Krisenzeiten – also fast immer –

um Maßnahmen, mit denen eine Gesellschaft sich vor möglichen Gefahren präventiv

schützen will, oder wie beim Eintreten einer Gefahr, der Schaden möglichst gering gehalten

werden soll. Um diese Ziele zu erreichen wird versucht, auf der Basis vorheriger

Gefährdungs- und Risikoanalysen, ein höheres Schutzniveau Kritischer Infrastrukturen

aufzubauen und/oder die gesellschaftliche (System-)Resilienz so zu erhöhen, dass das

gesellschaftliche Gesamtsystem – einschließlich seiner Kritischen Infrastrukturen – weniger

anfällig und insgesamt weniger verletzlich durch eine Störung oder auch den Ausfall einzelner

Kritischer Infrastrukturen ist.

Der Schutz Kritischer Infrastrukturen ist aus verschiedenen Gründen eine anspruchsvolle

Aufgabe:

􀁸 Es muss mit einer sehr großen Zahl potentieller Gefahren umgegangen werden, deren

Eintritt zwar in den meisten Fällen (zu denen Szenarien gebildet werden können)

relativ klein ist, die jedoch trotz geringer Wahrscheinlichkeit grundsätzlich jederzeit

eintreten können. Also auch mit einem Schaden, der statistisch nur alle 100.000 Jahre

eintritt, könnten wir schon morgen konfrontiert sein.

􀁸 Die Kritischen Infrastrukturen moderner und erfolgreicher Gesellschaften sind

hochkomplexe Systeme von großer Interdependenz ihrer Teilfunktionen. Ein

schwerwiegendes Problem in einem einzigen Teilsystem kann zu einem existenziellen

Problem des gesamten Clusters Kritischer Infrastrukturen führen (besonders

anschaulich im Szenario des Strom-Blackouts oder beim Ausfall des Internets).

􀁸 Die für den Schutz Kritischer Infrastrukturen einsetzten Ressourcen sind naturgemäß

begrenzt, der Gegenwert für Aufwendungen ist nicht sichtbar. Sichtbar und erfahrbar

wird jedoch ein Schaden, der eintritt, wenn der Schutz vernachlässigt wurde. Die

Entscheidung für oder gegen zusätzliche Schutzmaßnahmen erfolgen meist aus

Zielkonflikten heraus (z.B.: Preis des betroffenen Produktes oder Dienstleistung

soll/muss gering sein, entgegengesetzte Interessen werden als prioritär angesehen,

etc.).

Aufgrund dieser Besonderheiten kann sich auch die deutsche Gesellschaft nicht auf jede

Eventualität vorbereiten, es bleiben stets Restrisiken. Restrisiken sind Risiken, auf die wir

uns nicht vorbereitet haben und auch nicht vorbereiten werden – z.B. weil das nicht möglich

ist, oder weil es nicht verhältnismäßig erscheint. Die Einschätzung der Verhältnismäßigkeit

nimmt die Gesellschaft explizit vor (indem die vom Volk gewählten Politiker ihrer

Einschätzung gemäß handeln oder ausdrücklich nicht handeln) oder implizit (indem keine

Initiative erfolgt, sich handlungsorientiert mit bestimmten Risiken auseinanderzusetzen).

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 6 von 83

Dass Restrisiken verbleiben, ist weder gut noch schlecht, es ist unvermeidbar. Es lohnt nicht,

damit zu hadern.

Gerade weil es ohnehin immer Restrisiken geben wird, kommt es sehr darauf an, die für den

KRITIS-Schutz verfügbaren Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen, und vor allem: bei

der Einschätzung von Gefahren ganz besonders sorgfältig zu arbeiten. Dieses Motiv ist der

rote Faden durch dieses Papier.

1.5 Referat KM4 als Ressource bei der Krisenbewältigung

In der Krise hat der Schutz Kritischer Infrastrukturen zwei Hauptaufgaben. Die eine besteht

darin, den Schutz Kritischer Infrastrukturen operativ zu unterstützen (Einbringen der eigenen

Expertise und Netzwerke ins Krisenmanagement, Monitoring des Status Quo‘s Kritischer

Infrastrukturen, methodische Beratung). Die andere, die strategische Aufgabe der KRITISSchützer

besteht in der Krisensituation darin, die Auswirkungen der jeweiligen Krise auf

das generelle Sicherheitsniveau Kritischer Infrastrukturen und auf das Resilienzniveau

unserer Gesellschaft zu analysieren und zu bewerten, und in das Krisenmanagement

einfließen zu lassen. Diese strategische Perspektive wird in diesem Papier behandelt.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 7 von 83

  1. Wie waren das BMI (und die BReg) auf die Krisensituation

vorbereitet?

Eine Pandemie wurde in der Vergangenheit mehrfach durch Bundesbehörden geübt und es

gibt zahlreiche Empfehlungen für das Krisenmanagement in einer Pandemie, die sich

einerseits aus den Erfahrungen mit den Übungen speisen, aber auch Ergebnis von

Expertisen sind, die in den letzten Jahren im BMI mit seinen nachgeordneten Behörden unter

Einbeziehung weiterer Fachleute (u.a. des RKI) erarbeitet wurden. In diesem Kapitel werden

zunächst grundlegende Vorarbeiten ausgewertet und anschließend die Lükex-Übung 2007

und die Risikoanalyse aus 2012, den die BReg 2013 dem Parlament vorgelegte.

2.1 Hinweise und Warnungen in früheren Arbeiten zum

Bevölkerungsschutz

Dem BMI war in einer Expertise der im eigenen Geschäftsbereich angesiedelten

Schutzkommission (zwischenzeitlich aufgelöst) bereits 2006 mitgeteilt worden, dass in einer

Virus-Pandemie von den Schutzmaßnahmen eine größere Gefahr für die Bevölkerung

ausgehen kann, als durch die Erkrankung selbst. Das war noch nicht einmal auf eine

Wirtschaftskrise gemünzt, sondern explizit auf Kritische Infrastrukturen.

Zitat: „In diesem Zusammenhang wird auch die Planung von Maßnahmen zur

Abschwächung von Kollateraleffekten auf die Infrastruktur dringend

empfohlen, da hierdurch (etwa durch Ausfälle des Transports, der

Lebensmittel- oder Energieversorgung) eine größere Gefährdung der

Bevölkerung ausgehen kann als durch die Influenza selbst.“

Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden

Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe

biologische Gefahren

https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05

a.pdf?__blob=publicationFile

Dass die Pandemieplanung darauf ausgerichtet sein muss, die Gefährlichkeit sorgfältig

abzuschätzen und mit den Gefahren, die von Schutzmaßnahmen ausgehen können

abzugleichen, ergibt sich u.a. aus einer zweiten Aussage der gleichen Expertise. Diese

Empfehlung wurde nicht ausreichend beachtet.

Zitat: „Zuvorderst erforderlich ist eine Modifikation der Pandemieplanung

unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Influenza-Pandemieviren in

ihrer Gefährlichkeit (Pathogenität) erheblich unterscheiden. Für ein Worstcase-

Szenario nach dem Vorbild der „Spanischen Grippe“ von 1918

existieren bisher keine adäquaten Planungen.“

Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden

Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe

biologische Gefahren

https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05

a.pdf?__blob=publicationFile

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 8 von 83

Für den Fall, dass die von Bevölkerungsschutzbehörden bereits seit Jahren erwartete

Pandemie ausbrechen würde, hätten u.a. präventiv spezielle Schwerpunktkliniken

eingerichtet werden sollen. Diese Empfehlung wurde offenbar nicht umgesetzt. Wir erleben

heute in fataler Weise die Auswirkungen davon, dass man an dieser Stelle meinte sparen zu

müssen. Die Zahl der Krankenhäuser ist in DEU in den letzten Jahren um 20 Prozent

gesunken.

Zitat: „Die Umsetzung der im Nationalen Pandemieplan empfohlenen

Maßnahmen kommt nach Ansicht der Arbeitsgruppe auf Länderebene

teilweise zu langsam voran und ist nicht vollständig. Nur wenige

Bundesländer haben ihre Pandemiepläne weitgehend fertig gestellt. Die

dringend empfohlene Einrichtung von Schwerpunktklinken wurde aus

Kostengründen kaum realisiert. Auch die Beschaffung von erforderlicher

Ausstattung sowie Ausbildung und Übung sind auf der operativen Ebene

nicht genügend realisiert. Wir empfehlen daher, die Pandemiepläne der

Länder eilig fertig zu stellen und die Vorgaben des Nationalen

Pandemieplanes umzusetzen.“

Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden

Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe

biologische Gefahren

https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05

a.pdf?__blob=publicationFile

Nicht einmal die Mitarbeiter des Krisenstabs wurden in der Coronakrise 2020 systematisch

gegen alle auch nur entfernt ähnlichen Erkrankungen geimpft. Auch das war eine empfohlene

Maßnahme des gleichen Schutzkommission-Berichts. Zwar kann mit so einer Maßnahme

bestenfalls eine Teilimmunität erreicht werden, aber auch die könnte möglicherweise für

einen betroffenen Mitarbeiter über Leben und Tod entscheiden – und für den Dienstherrn die

Verfügbarkeit oder nicht-Verfügbarkeit eines für das Krisenmanagement dringend benötigten

Personalressource bedeuten.

Zitat: „Da bei einer eventuellen Anpassung des gegenwärtig grassierenden

Vogelgrippevirus H5N1 an den Menschen eine besonders schwere

Pandemie zu erwarten ist, empfiehlt die Arbeitsgruppe die umgehende

Bestellung einer geringen Menge humanen Impfstoffs gegen H5N1 (ca. 2-

4 Mio. Dosen), um ggf. für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur

unverzichtbare Personen schützen zu können. Auch bei einem eventuellen

genetischen Drift der H5N1 Variante Typ Asia wird dieser Impfstoff

wahrscheinlich zumindest eine Teilimmunität verleihen.“

Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden

Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe

biologische Gefahren

https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05

a.pdf?__blob=publicationFile

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 9 von 83

In einer anderen Stellungnahme der Schutzkommission (zu Ebola, aus 2014) wurde darauf

hingewiesen, dass von wirksamen Maßnahmen zum Schutz vor epidemischen Krankheiten

Gefahren für unsere Gesellschaft ausgehen, die beachtet werden müssen. Auch hier werden

ausdrücklich die Kritischen Infrastrukturen adressiert, sowie wirtschaftliche Risiken, die in

DEU (im Gegensatz zu anderen OECD-Ländern wie z.B. die USA) nicht als KRITIS behandelt

werden. – Dieser Aspekt sollte bei der Weiterentwicklung der nationalen KRITIS-Strategie

Deutschlands unbedingt einbezogen werden.

Zitat: „Im Extremfall können irrationale Ängste dazu führen, dass Teile der

Bevölkerung jeden Kontakt mit Fremden meiden und sich von

vermeintlich gefährlichen Ansammlungen fernhalten. In der Folge sind

Arbeitsausfälle und – wenn kritische Dienste, Versorgung

oder Infrastruktur betroffen sind – auch Störungen des öffentlichen

Lebens in Betracht zu ziehen.

Aus diesen Gründen könnten einzelne Ebola-Fälle, obgleich sie in

Deutschland für das Gesundheitssystem gut beherrschbar wären, mit

erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Risiken verbunden sein.“

(letzte Hervorhebung wie im Original)

Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des

Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und

Handlungsempfehlungen, Seiten 5-6

https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.p

df?__blob=publicationFile

In der gegenwärtigen Krise wurde vielfach das Agieren anderer Staaten als Vorbild oder

Muster herangezogen, obwohl wesentliche Rahmenbedingungen nicht vergleichbar sind.

DEU verfügt über eine sehr viel bessere Gesundheitsinfrastruktur als die meisten anderen

Länder und hat insbesondere höhere Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende,

lebensbedrohliche Erkrankungen als jeder andere Industriestaat. Auch die Datenlage, die für

die Ermittlung des Gefährdungspotentials wichtig ist, ist in DEU vergleichsweise umfangreich

und detailliert.

Zitat: „Die Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende, lebensbedrohliche

Erkrankungen sind höher als in jedem anderen Industriestaat.“

Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des

Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und

Handlungsempfehlungen, Seite 6

https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.p

df?__blob=publicationFile

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 10 von 83

Die Schutzkommission hatte 2014 ausdrücklich empfohlen, im Krisenfall ein wissenschaftlich

begründetes, optimiertes Sicherheitskonzept zu erstellen.

Zitat: „13. Erstellung eines wissenschaftlich begründeten, optimierten

Sicherheitskonzeptes für in das Epidemiegebiet entsandte Helfer

(Infektionsschutz unter Feldbedingungen, ärztliche Betreuung vor

Ort, Rückholung im Infektionsfall usw.). Dies ist die einzige effektive

Maßnahme, mit der präventiv der Import von Ebola-Infektionen

verhindert werden kann.

Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des

Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und

Handlungsempfehlungen, Seite 8

https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.p

df?__blob=publicationFile

Ein Sicherheitskonzept erfüllt nicht alleine dadurch die wissenschaftliche Begründetheit, dass

Wissenschaftler einbezogen wurden. Denn die Wissenschaft als Gesamtkonzept zeichnet

sich vielfach durch heterogene Theorienbildung, Meinungen und Einschätzungen von

Wissenschaftlern aus. Das bedeutet einerseits, dass man für nahezu jede Aussage eine

bestätigende wissenschaftliche Meinungs-Aussage (Expertise) erhalten kann, aus einer

Meinung von Wissenschaftlern also kein Anspruch auf Wahrheit ableitbar ist. Von

größtmöglicher Wahrheit kann man alleine bei Aussagen ausgehen, zu denen es einen

vollständigen Konsens gibt, weil sie bewiesen worden sind, und sich dieser Beweis jederzeit

überprüfen lässt.

Bei präventiven Maßnahmen ist es sinnvoll, mögliche Risiken nach folgender Definition zu

beschreiben:

Zitat: „Im Rahmen einer Risikobewertung bedeutet der Begriff „Risiko“

das Potenzial eines Ereignisses, die öffentliche Gesundheit zu

beeinträchtigen, basierend auf der Wahrscheinlichkeit seines

Eintretens und dem Ausmaß seiner Auswirkungen.

Quelle: Oktober 2019, RKI: RAHMENKONZEPT MIT HINWEISEN FÜR MEDIZINISCHES FACHPERSONAL

UND DEN ÖFFENTLICHEN GESUNDHEITSDIENST IN DEUTSCHLAND, Epidemisch bedeutsame

Lagen erkennen, bewerten und gemeinsam erfolgreich bewältigen, Seite 17

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Preparedness_Response/Rahmenkonzept_Epidemis

che_bedeutsame_Lagen.pdf?__blob=publicationFile

Sinnvoll ist diese Abschätzung von Gefahren und Risiken, weil sie eine Priorisierung von

präventiven Schutzmaßnahmen ermöglicht.

Wenn es, wie in der vorliegenden Krise, gleichzeitig zwei Gefahren gibt, müssen diese nach

dieser Methode miteinander verglichen werden. Die methodischen Anforderungen für den

Nachweis von Wahrscheinlichkeit des Eintretens und das Ausmaß seiner Auswirkungen

müssen identisch sein. Sonst kann man die Auswirkungen nicht vergleichen.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 11 von 83

Zu beachten ist, dass die eine der beiden gegenwärtigen Gefahren, der Corona Virus, extern

verursacht ist, und große Unsicherheiten bestehen einzuschätzen, wie die von ihm

ausgehenden Gefahren gemindert werden können, während wir die Dynamik der zweiten

gegenwärtigen Gefahr, die Wirtschafts- und Gesellschaftskrise, relativ gut kennen

(Erfahrungen mit der Finanzkrise 2009) und sie vollständig steuern können – jedenfalls

solange sie keine unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt. Und gerade weil diese Gefahr

besteht, muss eine sehr sorgfältig und intensiv betriebene und ganzheitlich-systemisch

angelegte Gefahrenabschätzung vorgenommen werden.

Das Problem paralleler Risiken ist aus der Medizin bekannt. Wenn ein Tumor in ein

lebenswichtiges Organ eingewachsen ist, kann man ihn nicht einfach herausschneiden.

2.2 Hinweise und Warnungen in Publikationen, Broschüren und Reden

Dass die Bewertung von bundesweiten Gefährdungen („bundesweite Risikoanalyse“) noch

nicht ausreicht und dringend verbessert werden muss, ist seit über zehn Jahren bekannt.

Dieses Anliegen war bei der letzten Änderung des ZSKG (2009) noch nicht integriert worden.

2012 stellte der damalige Leiter der Katastrophenschutzabteilung des BMI fest, dass zwar

wesentliches bei der Verbesserung von Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erreicht

sei, aber insbesondere die bundesweite Risikoanalyse noch abgearbeitet werden müsse.

„Als neue Instrumente in der Bund-Länder-Zusammenarbeit wurden das Gemeinsame

Melde- und Lagezentrum des Bundes und der Länder, die Datenbank deNIS für das

Informations- und Ressourcenmanagement, das satellitengestützte Warnsystem des

Bundes und als organisatorischer Schwer punkt das Bundesamt für

Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gegründet. Das BBK verknüpft alle

Bereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge zu einem wirksamen Schutzsystem für die

Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen („Bevölkerungsschutz“) und unterstützt mit

Ausstattung und Expertise die Länder bei Großschadenslagen

(„Katastrophenhilfe“).Die großen Entscheidungen im Bevölkerungsschutz sind damit

gefallen. Die „Neue Strategie“ ist – letzter wesentlicher Schritt war das neue Gesetz

über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes im Jahr 2009 im

Wesentlichen umgesetzt, auch wenn noch einige Punkte abzuarbeiten sind, so die

bundesweite Risikoanalyse.(Norbert Seitz, aus: Schriften zur Zukunft der Öffentlichen

Sicherheit, Das Undenkbare denken, Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, 2012, ab

Seite 36)

Ebenso ist lange bekannt, dass bei Großschadenlagen wie einer Pandemie systemische

Zusammenhänge zu beachten sind.

„Wollte man versuchen Risiken und Gefahren für unsere Gesellschaft

zusammenzutragen, würde man eine Liste ganz unterschiedlicher Phänomene

zusammenstellen können, wie bereits vielfach geschehen: Ausfall kritischer

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 12 von 83

Infrastrukturen, Naturgefahren, Pandemien sowie Terrorismus und (Cyber-)

Kriminalität. Die Aufzählung ließe sich problemlos erweitern. Entscheidend ist jedoch,

dass die benannten Gefahren und Risiken etwas gemeinsam haben: Sie haben

systemischen Charakter. Nach Renn et al. beziehen sich systemische Risiken auf

„hochgradig vernetzte Problemzusammenhänge, mit schwer abschätzbaren

Breiten- und Langzeitwirkungen, deren Beschreibung, Kategorisierung und

Bewältigung mit erheblichen Wissens- und Bewertungsproblemen verbunden

sind2“ [zitiert nach Renn, Ortwin/Schweizer, Pia J./Dreyer, Marion/Klinke, Andreas

2007: Risiko. Über den gesellschaftlichen Umgang mit Risiko, München:176]“ (Marie-

Luise Beck und Dr. Lars Gerhold, FOES, Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität –

vom mühsamen Umgang mit systemischen Risiken, aus: Schriften zur Zukunft der

Öffentlichen Sicherheit, Das Undenkbare denken, Zukunftsforum Öffentliche

Sicherheit, 2012, Seite 32)

Die Wechselwirkungen von Maßnahmen des Gesundheitsschutzes mit anderen

gesellschaftlichen Bereichen, waren anschaulich in der letzten weltweiten Krisensituation

(Finanzkrise 2009) deutlich geworden. An dieser Erkenntnis hätte das Krisenmanagement in

der Coronakrise stärker ausrichtet werden können und müssen.

„(…) Beispiel ist die derzeitige Finanzkrise, die als US-Immobilienkrise startete, auf den

Bankensektor übersprang, sich zur Staatenkrise entwickelte und derzeit wieder die

Banken in Bedrängnis zu bringen scheint. Als weitere Nebenfolgen wird der

Vertrauensverlust der Bevölkerung in das Finanz- und Wirtschaftssystem sowie ein

Legitimitätsverlust der Demokratie in den Medien diskutiert.“ (Marie-Luise Beck und

Dr. Lars Gerhold, FOES, ebd., Seite 32)

Das Krisenmanagement 2020 hat diese Wechselwirkungen nicht systematisch miterfasst und

in ihrer Wirkung nicht gegengerechnet. Durch diese arbeitstechnische Fehlleistung war es

nicht möglich, rechtzeitig zu erkennen, wann die Kollateralschäden die beabsichtigte Wirkung

überkompensieren würden.

Das BMI, das eine Grundsatzzuständigkeit für den Schutz Kritischer Infrastrukturen hat, und

diese auf ihrer Website umfassend bewirbt (siehe Screenshot in Anlage 2), hätte die

Eigenartigen von Kritischen Infrastrukturen bedenken und aktiv Überlegungen dazu in das

Krisenmanagement einbeziehen müssen.

„(…) Ursache-Wirkungs- Bezüge, die in ihren Verästelungen kaum bekannt,

geschweige denn beherrschbar sind. Ein Beispiel sind die Interdependenzen von

Kritischen Infrastrukturen und ihre kaskadierenden Effekte bei Störungen, aber

auch Infektionserkrankungen, bei denen es keinen eindeutigen Dosis-Wirkungs-

Zusammenhang gibt und wo durch unterschiedliche Inkubationszeiten die Ursache

(Ansteckung) und Auswirkung (Erkrankung) zeitlich extrem auseinander liegen kann.“

(Marie-Luise Beck und Dr. Lars Gerhold, FOES, ebd., Seite 33)

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 13 von 83

In einer Krise auf Vorgaben der EU zu warten erscheint wenig hilfreich, da dort in der Regel

ein Minimalkonsens zustande kommt, der unter manchen wichtigen deutschen Standards zu

liegen droht. Dass die europäischen Schutzmaßnahmen zu KRITIS nicht ausreichen, stellte

im Übrigen der frühere Bundesinnenminister de Maizière 2015 in einer Rede heraus.

„Auch beim Schutz kritischer Infrastrukturen, also der für unsere Gesellschaft so

bedeutsamen Einrichtungen wie Strom-, Wasser- und Energieversorgung, das Funktionieren

der Bankensysteme, der Versicherungssysteme, besteht auch in Europa Handlungsbedarf.“

(Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière auf dem Forum International de la

Cybersécurité am 20. Januar 2015 in Berlin)

In seiner Zeit als Bundesinnenminister erteilte de Maizière seinem Haus bereits 2015 den

Auftrag, die nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen weiter zu entwickeln

und er gab einen konzeptionellen Rahmen dafür vor. Seitdem wurde dieses Thema

stiefmütterlich behandelt. Das Vorhaben ist trotz jahrelanger Arbeiten immer noch weit von

einem Ergebnis entfernt. Der Grund liegt – nach meiner Erkenntnis als erster Leiter dieses

Projekts – in vielfachen administrativen Ungeschicklichkeiten und Fehlleistungen des eigenen

Hauses (bei Bedarf, gerne ausführlicher). Die Auswirkungen zeigen sich heute: Die erneuerte

KRITIS-Strategie sollte nach dem Willen des damaligen Bundesministers als erstes Element

eines neuen KRITIS-Pakets Impulsgeber und Auftakt für ein KRITIS-Regierungsprogramm

mit weitergehenden Maßnahmen zum Schutz Kritischer Infrastrukturen bilden, um die

Resilienz unserer Gesellschaft nachhaltig zu verbessern. Dadurch, dass in den fünf Jahren

seit Auslösen des Arbeitsauftrags noch nicht einmal ein symbolisches Strategiepapier erstellt

werden konnte, kam auch der weitergehende Prozess nicht in Gange. Die Resilienz wurde

nicht wie vorgesehen verbessert. Ich komme später darauf zurück.

  1. Auswertungen früherer Übungen

Wie funktionieren Krisen-Übungen?

Die Auswertung von Übungen offenbaren regelmäßig schwerwiegende Defizite in den

Vorgaben und auch Fehler von an der Übung Beteiligten. Diese Defizite und Fehler werden

analysiert und aus ihnen werden Hinweise und neue Vorgaben (Verfahren) für den Ernstfall

destilliert. Es liegt gewissermaßen in der Natur und in dem Zweck einer Übung, dass sie in

einem Desaster endet. Wenn das nicht geschieht, war die Übung zu einfach, dann lernt man

nichts daraus. Lernen aus Fehlern ist der kritische Erfolgsfaktor für das Krisenmanagement.

3.1 Lükex 2007

In der großen Krisen-Übung von Bund und Ländern 2007 (LÜKEX) wurde eine Pandemie

geübt. Im Ergebnis wurde genau das beschrieben, was heute eines der großen Probleme der

Krisenbewältigung ist. Die ressortübergreifende Risikobetrachtung war mangelhaft. Die

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 14 von 83

gleichen Defizite bestehen noch heute, es wurde aus der Übung nichts gelernt. Das führt

heute dazu, dass immer noch das gesundheitliche Risiko Gegenstand des einen Krisenstabs

ist, der mit seinen Maßnahmen zusätzliche Gefahren schafft, die so groß werden, dass

weitere Krisenstäben gebildet werden müssen, die nunmehr parallel agieren. Weder die

Risikoanalyse noch die Maßnahmenplanung werden zusammengeführt.

Zitat: „Eine ganzheitliche und ressortübergreifende Risikobetrachtung ist nur

ansatzweise festzustellen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich Defizite

in der genauen Identifizierung, der korrekten Bewertung, der

entsprechenden Behandlung und der Beobachtung der Risiken, die eine

angemessene Ressourcenplanung erschweren.

Quelle: 2007 Auswertungsbericht über die LÜKEX 2007 (Pandemie-Szenario), Seite 22 unten

??

Außerdem werden die Risiken der Gesundheitskrise als die schwerwiegenderen angesehen

und zu den entscheidungsleitenden gemacht, obwohl gar kein Vergleich stattgefunden hat.

Ein extrem schwerwiegendes Defizit und zugleich massiver handwerklicher Mangel eines

Krisenmanagements besteht in der unzureichenden Risikoermittlung durch das

Krisenmanagement. Wenn für die Ermittlung der gesundheitlichen Gefahren für unsere

Gesellschaft (nicht die einzelnen individuellen Gefahren) punktuelle aktuelle Daten verwendet

werden, deren Bedeutung für die Gefahrenqualität sich erst aus einem Abgleich mit anderen,

umfassend verfügbaren Daten erschließen (insbesondere die Zahlen zu an einem Virus

verstorbenen), so muss dieser Abgleich eingeplant und durchgeführt werden.

Zum Vergleich: Wenn ich die Gefährlichkeit eines starken Regens einschätzen will, muss ich

wissen, wie viel Regen ungefährlich ist, bzw. regelmäßig keine Schutzmaßnahmen erfordert,

und ich werde ermitteln, um wie viel dieses Level voraussichtlich überstiegen werden wird.

Auch durch normalen Regen entstehen regelmäßig Schäden. Ob vor einem stärkeren Regen

zu warnen ist, weil deutlich mehr Schaden entstehen wird, oder ob zur Abwehr der

zusätzlichen Schäden sogar massive Schutzmaßnahmen nötig sind, hängt davon ab, um wie

viel Wasser der erwartete Starkregen über der durchschnittlichen Regenmenge liegt und in

welchen (gesellschaftlichen) Bereichen sich dieses mehr an Regenwasser in welcher Weise

auswirkt.

Das bedeutet: Erst wenn ich weiß, ob und wie viele über der durchschnittlichen Menge an

Todesfällen liegende Todesfälle durch einen Virus ausgelöst werden, und wenn ich weiß,

welche funktionalen Bereiche der Gesellschaft voraussichtlich betroffen sein werden/können,

kann ich angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen konzipieren, um der Pflicht des

Katastrophenschutzes nachzukommen, große nationale Gefahren von unserer Gesellschaft

abzuwenden.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 15 von 83

Ob einem Krisenmanagement, das dies versäumt hat, zur Last gelegt werden kann, dass es

falsche (unangemessene, unwirksame, unnötigen Schaden auslösende) Entscheidungen

getroffen hat, lässt sich schwer mit hundertprozentiger Sicherheit sagen – aber leider mit sehr

hoher Wahrscheinlichkeit. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, dass

Schutzmaßnahmen beschlossen wurden, ohne die Gefahr auch nur so gut zu kennen und so

einschätzen zu können, wie es möglich gewesen wäre, wenn es eine sachgerechte

Risikoanalyse gegeben hätte. Die Wahrscheinlichkeit, durch den Verzicht auf umfassende

Vergleiche und vollständige Risikoanalyse zu falschen Maßnahmen zu gelangen, geht gegen

100 Prozent. Es wäre reiner Zufall, wenn die ergriffenen Maßnahmen weder zu stark noch zu

schwach wären, sondern ganz genau die richtigen. Krisenmanagement droht in einer

derartigen Krise zu etwas zu werden, was es nicht sein sollte: ein überwiegend spekulatives

Geschäft mit dem Schicksal unseres Gemeinwesens und unserer Bevölkerung.

3.2 Auswertung der Risikoanalyse aus 2012 und Bezüge zur aktuellen

Krise

Der Bund hat den gesetzlichen Auftrag zur Durchführung von Risikoanalysen im Bereich des

Bevölkerungsschutzes – nach § 18 Absatz 1 Satz 1 des Zivilschutz- und

Katastrophenhilfegesetzes des Bundes (ZSKG). In diesem Rahmen wurde 2012, fachlich

federführend durch das BBK, aber unter Einbeziehung aller einschlägigen Bundesressorts

und ihrer Geschäftsbereichsbehörden, eine Risikoanalyse erarbeitet, die seither allen

Bundes- und Landesbehörden zur Verfügung steht. Der simulierte Pandemieverlauf wurde

vom RKI beigesteuert.

Der Kontrast zwischen der gegenwärtigen Krise und dem Schreckens-Szenario der

Risikoanalyse könnte kaum größer sein (BT-Drucksache 17/12051 vom 03. 01. 2013,

Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz

2012).

Die Gefahren und Auswirkungen, die generell von Schutzmaßnahmen ausgehen, wurden

zwar auch in der Risikoanalyse benannt. Es wurde davon ausgegangen, dass irgendjemand

die richtigen Zahlen liefert. So wie heute.

Nachdem wir 2020 erfahren, dass Schutzmaßnahmen gegen eine sehr viel harmlosere

Pandemie bereits härtere Kollateralschäden erzeugen können, erscheint das damals zu

Übungszwecken konstruierte Szenario in manchen Punkten unrealistisch. Bei einer derartig

schweren Pandemie, wie in dem Übungsszenario des BBK, würde man nach dem heutigen

Erfahrungsstand sehr viel negativere und desaströsere Auswirkungen auf unserer

Gesellschaft und für die Bevölkerung veranschlagen. An manchen Punkten wird das

besonders deutlich und wirft ein Licht auf das aktuelle Krisengeschehen:

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 16 von 83

􀁸 Bei einer wirklich schweren Pandemie mit Millionen Toten (wie in der Risikoanalyse

2012) wäre es nicht mehr nötig, eine Ausgehsperre zu verhängen. Die Menschen

würden von sich aus nicht mehr aus ihrem Haus gehen, wenn um sie herum gestorben

wird und jeder falsche Kontakt den Tod innerhalb weniger Tage bedeuten kann.

􀁸 Andererseits würde sich bei einer gefährlichen und gesundheitlich unmittelbar

folgenschweren Pandemie auch keiner mehr an solche Vorgaben halten, der anderes

vorhat. Und der Staat wäre gar nicht mehr in der Lage, Ausgangssperren

flächendeckend durchzusetzen, so wie es 2020 noch fast problemlos möglich ist – u.a.

durch höfliche Politessen, die mit erhobenem Zeigefinger Knöllchen verteilen und

versuchen, dabei einen ernsthaften Eindruck zu machen. Der Staat hätte in einer

gefährlichen Virus-Pandemie mit den verbliebenen Kräften wichtigeres zu tun.

􀁸 Auch von der Arbeit müsste man niemanden abhalten, es würde keiner mehr

hingehen, wenn dort möglicherweise der sichere Tod auf ihn wartete. Wer gebraucht

wird, etwa weil er für den Betrieb einer Kritischen Infrastruktur benötigt wird, müsste

von der Polizei abgeholt werden, weil er sich von seinen Lieben nicht entfernen will.

􀁸 Die Polizei und Militär wären ebenso ausgedünnt, die Sicherheit und Ordnung könnte

nicht mehr gewährleistet werden, Kriminalität würde überhandnehmen und, und, und.

Eine Pandemie mit 7,5 Mio. Toten würde unsere Gesellschaftsformation und staatliche

Ordnung kaum überstehen und unsere Zivilisation möglicherweise auch nicht, wenn

die Kritischen Infrastrukturen zusammenbrächen.

􀁸 In dem 2012er Szenario wurde zur Vereinfachung eine gleichmäßige Betroffenheit

aller Altersgruppen konstruiert, obwohl die Altersgruppe über 65 Jahren bei bisherigen

Coronaviren deutlich überproportional erkranken und sterben. (Für das Modellieren

der Zahlen an Erkrankten und Betroffenen im Szenario gehen wir davon aus, dass alle

Altersgruppen gleich betroffen sind.“) – Die wahrscheinlichere Variante ist auch bei der

sars-Variante Covid-19 zum Zuge gekommen. Mit der wesentlichen Konsequenz, dass

2020 die berufstätige Bevölkerung, die für die gesamte gesellschaftliche Arbeit und alle

Wertschöpfungsprozesse benötigt wird, so gut wie nicht betroffen ist – jedenfalls nicht

vordergründig gesundheitlich. In dem Szenario der Risikoanalyse hätte die breitere

Altersverteilung von Todesopfern zu noch schwereren Auswirkungen auf alle

gesellschaftlichen Bereiche führen müssen, mit dem Zusammenbrechen zumindest

von Teilen der Kritischen Infrastrukturen und der Unmöglichkeit, nach überstandener

Pandemie eine schnelle Regenerationsphase realisieren zu können. Für letzteres ist

unübersehbar das reaktionsschnelle Fallenlassen aller Restriktionen und

Schutzmaßnahmen der kritische Erfolgsfaktor.

􀁸 In einer echten Krise käme wohl auch niemand auf die Idee, beim

Bundesverfassungsgericht einklagen zu wollen, dass er in dieser Lage eine politische

Demonstration durchführen darf. Eine Meldung in der Zeitung wäre das jedenfalls nicht

wert.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 17 von 83

Eine wichtige Erkenntnis aus der Risikoanalyse 2012, dürfte sein, dass bei jeglichen

Maßnahmen stets mitgedacht werden muss, dass sich die ersten Warnmeldungen als

Fehlalarm herausstellen könnten. Denn wirksamen und umfassenden Schutzmaßnahmen

wohnt ein gewaltiges eigenes Schadpotential inne (als Kollateralschaden). Dieses

Schadpotential entfaltet vor allem bei einem Fehlalarm und Überschätzung der

gesundheitlichen Gefahren seine fatale ironische Wirkung.

Rolle der Politik

Die Rolle der Politik kommt nur am Rande vor, nicht als impulsgebende Steuereinheit, wie es

sich heute darstellt.

Auf Seite 68 der 2012er Risikoanalyse heißt es im Szenario:

„2.6 Behördliche Maßnahmen

Neben der Information der Bevölkerung treffen die Behörden, aufbauend auf

bestehenden Plänen und den Erfahrungen aus der Vergangenheit, Maßnahmen

zur Eindämmung und Bewältigung des Ereignisses. Krisenstäbe werden zeitnah

einberufen und übernehmen die Leitung und Koordination der Maßnahmen. Die

vorausschauende Beurteilung der Lage und die entsprechende Planung der

Abwehrmaßnahmen werden unter allen beteiligten Ebenen abgestimmt.“

Die Risikoanalyse thematisiert mögliche Protest aus der Bevölkerung.

„Die Suche nach „Schuldigen“ und die Frage, ob die Vorbereitungen auf das Ereignis

ausreichend waren, dürften noch während der ersten Infektionswelle aufkommen. Ob

es zu Rücktrittsforderungen oder sonstigen schweren politischen Auswirkungen

kommt, hängt auch vom Krisenmanagement und der Krisenkommunikation der

Verantwortlichen ab.“ (Seite 80)

Auch in der Coronakrise wird es vermutlich zu Schuldzuweisungen kommen. Die werden sich

selbst mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit der Regierungen kaum verhindern lassen, selbst

wenn versucht wird, die Massenmedien einzubinden. Bisher ist es nicht Ziel staatlicher

Öffentlichkeitsarbeit, generell Kritik zu unterdrücken.

Weitere Hinweise auf Gefahren durch Kollateralschäden

Kollateralschäden sind regelmäßig zu erwarten, das muss im Ergebnis der Risikoanalyse das

Krisenmanagement von vorne herein beachten. Die Kollateralschäden dieses Szenarios (7,5

Mio. Tote) würden sehr wahrscheinlich zu einem Zusammenbruch im Bereich der Kritischen

Infrastrukturen führen.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 18 von 83

„Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind hier nicht konkret abschätzbar, könnten

allerdings immens sein. Da im gesamten Ereignisverlauf mindestens 7,5 Millionen

Menschen sterben, ist trotz der Altersverteilung der Letalitätsrate mit dem Tod einer

Vielzahl von Erwerbstätigen zu rechnen. Sollten z.B. vier Millionen Erwerbstätige

versterben, wären dies ca. zehn Prozent aller Erwerbstätigen, dieser Verlust wäre

volkswirtschaftlich deutlich spürbar und mit einem hohen Einbruch des

Bruttoinlandprodukts verbunden.“ (Seite 78)

Die Kostenbelastungen einer solchen Krise haben Auswirkungen auf die Sozialen

Sicherungsysteme. Je länger die Aufhebung von Schutzmaßnahmen verschleppt wird, desto

größer wird der Nachteil für den Sozialstaat und den sozialen Frieden ausfallen. Das gilt

natürlich für die Coronakrise.

„Mit massiven Kosten für die öffentliche Hand ist zu rechnen, u.a. durch den Verbrauch

von medizinischem Material und Arzneimitteln sowie durch die Entwicklung und

Beschaffung eines Impfstoffes. Durch den Ausfall von Wirtschaftsleistung sind

geringere Steuereinnahmen zu erwarten. Dies führt in Verbindung mit dem Anstieg der

Gesundheitskosten voraussichtlich zu einer erheblichen Belastung der

Sozialversicherungssysteme, vor allem der gesetzlichen Krankenversicherung.“ (Seite

78)

Die Probleme durch Unterbrechungen von Lieferketten wurden in der Risikoanalyse

beschrieben. Und auch, dass die Unterbrechung von Lieferketten zu Kaskadeneffekten

führen kann.

„Generell ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen die Auswirkungen der Pandemie

selbst bei guter Planung und Vorbereitung ggf. nicht mehr kompensieren können

(generelle Rationalisierungstendenzen: dünne Personaldecke, Abhängigkeit von

Zulieferern, Just-in-Time-Produktionusw.). Dies kann sogar dazu führen, dass weltweit

Produktionsketten zum Erliegen kommen.

Mit Blick auf vielfältige internationale Verflechtungen sind auch Versorgungsleistungen

aus anderen Ländern für Deutschland von großer Bedeutung. Zahlreiche Güter und

Dienste werden weltweit von nur wenigen Schlüsselproduzenten bereitgestellt. Somit

könnten Ausfälle im Bereich importierter Güter und Rohstoffe auch in Deutschland zu

spürbaren Engpässen und Kaskadeneffekten führen.(Seite 79)

Die aufgezeigten Auswirkungen beobachten wir in der Coronakrise schon jetzt, obwohl die

Fallzahlen bei weitem niedriger sind. Der Effekt wurde also unterschätzt. Gäbe es zusätzlich

Tote in Millionenhöhe, wäre der gesellschaftliche Zusammenbruch kaum mehr abzuwenden.

Davon sind Kritische Infrastrukturen betroffen, wie aktuell die Entwicklung in der

Trinkwasserversorgung zeigt (s.u.).

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 19 von 83

Die Reaktionen der Bevölkerung sind schwer vorauszusehen. Sie können sehr

unterschiedlich sein, und können sich bei zeitlicher Dehnung der Auswirkungen auch

verändern. Diese Risiken sind umso größer, je länger in der Coronakrise die

Schutzmaßnahmen von der Politik erzwungen werden.

„Im vorliegenden Szenario wird davon ausgegangen, dass die Mehrheit der

Bevölkerung sich solidarisch verhält und versucht, die Auswirkungen des Ereignisses

durch gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme zu verringern. Ähnlich

solidarische Verhaltensweisen wurden vielfach bei anderen Extremsituationen

beobachtet. Gleichwohl ist es nicht auszuschließen, dass eine zunehmende

Verunsicherung und das Gefühl, durch die Behörden und das Gesundheitswesen im

Stich gelassen zu werden, aggressives und antisoziales Verhalten fördert.“ (Seite 79)

  1. Hat der Staat bisher genug für den Schutz Kritischer

Infrastrukturen getan? Und wenn nein, was hindert ihn daran?

Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil mit Maßnahmen zum Schutz Kritischer

Infrastrukturen die Resilienz der KRITIS-Systeme und der Gesellschaft erhöht werden

können. Je schlechter die Widerstandskraft ist, desto störungsanfälliger sind kritische

Infrastrukturen, und desto eher kann es schon bei graduellen Limitierungen zu Ausfällen

kommen. Erste Hinweise enthielt bereits das zweite Kapitel (s.o.).

Zweifellos wurde in den letzten Jahren einen Menge an Aktivitäten entfaltet. Der Entwurf einer

Bilanzierung aller Aktivitäten seit Beschluss über die nationale KRITIS-Strategie zeigt das

(BBK im Auftrag v. KM4). Da es nicht alleine auf die Qualität der Einzelmaßnahmen

ankommt, und die Vergrößerung von Gefahren in der gleichen Zeit gegengerechnet werden

müsste, um den Nettoschutzeffekt (Resilienz-Saldo) zu erhalten, befasse ich mich hier vor

allem mit der strategischen Perspektive.

Der Schutz Kritischer Infrastrukturen wird auch von den Ländern als vordringliches Ziel

anerkannt. Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus, auch wenn sinnvolle Schritte

gemacht wurden.

„Fragen der Versorgung spielen in unserem alltäglichen Leben kaum eine Rolle. In

welchem Maße wir auf Strom, Wasser oder etwa Internet angewiesen sind, merken wir

erst, wenn die einzelne Versorgungsleistung gestört ist. Die zunehmende

Digitalisierung bietet viele Chancen, birgt aber auch Risiken und Gefahren. Deshalb

müssen wir die Resistenz unserer kritischen Infrastrukturen erhöhen und auf alle

denkbaren ‚Worst-Case-Szenarien‘ vorbereitet sein. Um das hohe Niveau der

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 20 von 83

Daseinsvorsorge in Hessen zu sichern, haben wir in den vergangenen Jahren sowohl

den Brand- und Katastrophenschutz als auch den Bereich Cyber- und IT-Sicherheit

deutlich gestärkt.(Peter Beuth, Hessischer Innenminister, auf einer vom Hessischen

Innenministerium organisierten Fachkonferenz im Biebricher Schloss zum Thema

Kritische Infrastrukturen am 25. November 2019)

Der frühere Bundesinnenminister Friedrich brachte 2011 das IT-Sicherheitsgesetz auf den

Weg und begründete das mit der notwendigen Verbesserung des Schutzes Kritischer

Infrastrukturen.

„Neue Technologien bedeuten neue Chancen, Kollege Bockhahn. Durch das Internet

entstehen Produktivitätsfortschritte, aber auch neue Risiken. Das alles baut auf einer

unglaublich aufwendigen Technologie auf. Wenn wir diese Technologie und alles, was

uns in unserem täglichen Leben Lebensqualität, aber auch Wohlstand bringt die

kritische Infrastruktur, unsere Stromversorgung, die Kommunikation, die

Wasserversorgung, die Logistik und das Finanzwesen , schützen wollen, dann

müssen wir die Sicherheitsbehörden, insbesondere das BSI, in die Lage versetzen, all

die Möglichkeiten der Abwehr vorzuhalten und mit den technologischen

Herausforderungen Schritt zu halten. Das ist teuer, aber es gibt keine Alternative dazu.

Wir müssen in der Lage sein, unsere Bevölkerung, unsere Systeme und unsere

Daseinsvorsorge zu schützen. Deswegen ist es richtig, das BSI zu stärken.“ (aus:

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, zum Haushaltsgesetz

2012 vor dem Deutschen Bundestag am 22. November 2011 in Berlin)

Die Umsetzung zog sich über einige Jahre hin, Minister Friedrich vertrat dies bei jeder

Gelegenheit. Mit Bezug zur IT-Sicherheit als Kritische Infrastruktur sagte er 2013: „(…) Das

zeigt, wie wichtig es ist, dass wir unsere Daten, unsere Leitungen, unsere Netze, unsere

Infrastruktur widerstandsfähig machen. Darüber rede ich hier seit Monaten.“ (aus: Rede des

Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, in der Debatte zu den Konsequenzen

für Deutschland aus der internationalen Internetüberwachung vor dem Deutschen Bundestag

am 26. Juni 2013 in Berlin)

Inzwischen gilt das IT-Sicherheitsgesetz als deutsches Vorzeigeobjekt, obwohl es nur

begrenzte Verbindlichkeit entfaltet und die Einhaltung von Gesetz und Verordnung schlecht

verifiziert werden kann. Als Einstieg war das unverzichtbar und bietet ein guten Fundament.

Derzeit wird die zweite, deutlich ambitioniertere Stufe des IT-Sicherheitsgesetzes im BMI

vorbereitet.

Im August 2016 wurde das neue Zivilschutzkonzept durch Bundesinnenminister de Maiziere

in einem Berliner Wasserwerk der Öffentlichkeit vorgestellt, ein Baustein dieses Konzeptes ist

die Verbesserung des KRITIS-Schutzes. Dieses event war ursprünglich als rein

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 21 von 83

fachspezifisches Ereignis geplant gewesen, vehement reagiert hat dann schließlich die

allgemeine Presse (insbesondere die Breiten-Publikationen).

„Die Bevölkerung wurde aufgefordert, zur Erstversorgung im Krisenfall für fünf Tage

zehn Liter Wasser pro Person vorzuhalten sowie einen Vorrat an Lebensmitteln für

zehn Tage. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat Kritik am neuen

Konzept zur Zivilverteidigung zurückgewiesen. (…) Es sei ein umfassendes, lange

erarbeitetes Konzept jenseits jeder Panikmache, sagte de Maizière am Mittwoch in

Berlin. „Wir alle wünschen uns, dass uns größere Krisen erspart blieben”, sagte de

Maizière. Doch es sei vernünftig, sich „angemessen und mit kühlem Kopf” auf

Krisenszenarien vorzubereiten. (…)

Das Konzept ist in den vergangenen Tagen schon heftig diskutiert worden. Unter

anderem wird die Bevölkerung aufgefordert, zur Erstversorgung im Krisenfall für fünf

Tage zehn Liter Wasser pro Person vorzuhalten sowie einen Vorrat an Lebensmitteln

für zehn Tage. Auch Überlegungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht im Krisenfall

und Szenarien für Einsätze des Technischen Hilfswerks (THW) sind in dem Papier

enthalten. So heißt es etwa: „Im Falle einer Beendigung der Aussetzung des Vollzugs

der Wehrpflicht entsteht Unterstützungsbedarf der Bundeswehr bei

Heranziehungsorganisation und Unterbringungsinfrastruktur.” (aus: BZ Berlin vom

24.8.2016, De Maizière weist Kritik an umstrittenem Konzept zum Zivilschutz zurück,

https://www.bz-berlin.de/berlin/reinickendorf/de-maiziere-stellt-umstrittenes-konzeptzum-

zivilschutz-in-berlin-vor)

Selbst die örtlichen Anzeigenblätter interpretierten und skandalisierten die Aussagen des

Ministers als indirekten Aufruf zu Hamsterkäufen.

„Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat am 24. August im Wasserwerk

Tegel das zuvor im Bundeskabinett beschlossene Konzept Zivile Verteidigung

vorgestellt. Der Presseauflauf ist enorm. Dreizehn Kameras sind auf das Podium

gerichtet, noch mehr schreibende Journalisten verteilen sich auf die Sitzreihen, drum

herum tummeln sich die Fotografen. Die meisten sind gern in der Sommerpause aus

dem Regierungsviertel an den Tegeler See gekommen, doch das Wasserwerk

interessiert die meisten dann nur am Rande.

Wie könne es sein, dass kurz nach Terroranschlägen und Münchner Amoklauf die

Bundesregierung die Bevölkerung indirekt zu Hamsterkäufen aufrufe? Diesen Tenor

hat so manche Frage, und ähnlich gleich bleiben die Antworten des Ministers. Man

müsse Pläne für den Katastrophenschutz ab und zu anpassen, und genau dies hätten

die Bundesministerien getan, unabhängig von aktuellen Ereignissen.

Dass jeder Haushalt in der Lage sein sollte, sich ein paar Tage selbst zu versorgen, sei

doch selbstverständlich, sagt der Minister unter Verweis auf seinen eigenen

„vollgestellten Keller“, in den er aber keinen Journalisten hineinlassen möchte.“ (aus:

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 22 von 83

Besuch im Wasserwerk: Thomas de Maizière bei „kritischer Infrastruktur“ Christian

Schindler, aus Reinickendorf, 26. August 2016, 00:00 Uhr, https://www.berlinerwoche.

de/tegel/c-politik/besuch-im-wasserwerk-thomas-de-maizire-bei-kritischerinfrastruktur_

a107515)

In Fachkreisen gilt der Begriff „Hamsterkäufe“ inzwischen als geflügeltes Wort. Wer sich

dieses Vorwurfs bedient, kann jedes vernünftige Projekt zum Scheitern bringen. Aus Sicht der

Experten in den Ministerialapparaten von Bund und Ländern war die Politik (politische Leitung

der Ministerien und Regierungszentralen) aufgrund des „HamsterkäufeEffekts“ bisher nicht

stark genug, überfällige Aktivitäten und substanzielle Verbesserungen beim Schutz Kritischer

Infrastrukturen in Deutschland wirksam voran zu treiben.

Der Bundesinnenminister verteidigte sein Anliegen zwar, war aber politisch in Bedrängnis

geraten. Aus dem politischen Feld heraus wurde dieser Effekt noch gezielt verstärkt.

„Kritik wie jene der SPD, der Zeitpunkt hierfür nach den jüngsten Anschlägen schüre

Verunsicherung, ließ der Minister nicht gelten. „Es ist üblich, wenn eine

Ressortabstimmung abgeschlossen ist, dass es dann ins Kabinett kommt.”“ (aus: BZ

Berlin vom 24.8.2016, ebd.)

Erst dieser verstärkte Effekt führte dazu, dass die Abteilungsleitung KM nach Erörterung der

Angelegenheit beim Minister, das Vorhaben mit Samthandschuhen anfasste und die interne

Aufforderung erging, möglichst unauffällig unter dem Öffentlichkeitsradar weiter zu arbeiten.

Das Vorhaben der Erneuerung der allgemeinen KRITIS-Strategie wurde, im Gegensatz zur

IT-Sicherheitsstrategie, vom Ministerial-Apparat in der Priorität drastisch herabgestuft. Das

wäre (mit Blick auf den IT-Bereich), nicht zwingend gewesen. Auf die eigentliche Projektarbeit

der Erneuerung der KRITIS Strategie hatte die hauspolitische Vorgabe nur begrenzte

Auswirkungen. Die durfte und sollte unverändert, aber von der Abteilungsleitung nicht gerade

besonders interessiert oder engagiert begleitet, im Fachreferat weiter geführt werden.

Eckpunkte und Entwürfe wurden mehrfach im Hause, im Ressortkreis auf Bundesebene und

in Facharbeitsgruppen mit den Ländern abgestimmt. Solche technisch zustande

gekommenen Produkte, die nicht von der Abteilungsleitung eng begleitet und mit

Zielvorgaben gesteuert werden, haben oftmals geringe Wirksamkeit und Akzeptanz, wenn sie

der gleichen Abteilungsleitung schließlich und unvermittelt in der finalen Endfassung

vorgelegt werden. In diesem Fall, war das von Vorteil, denn das finale Papier war (aus meiner

persönlichen fachlichen Sicht) denkbar ungeeignet. Aufgrund verschiedener Widrigkeiten

erfolgte die referatsinterne Projektsteuerung suboptimal und war am Ende auch

unwirtschaftlich war.

Die Abteilungsleitung stoppte das mit den Ländern auf Arbeitsebene (AG KOST KRITIS)

abgestimmte Papier glücklicherweise aufgrund nachgewiesener schwerwiegender

systematischer inhaltlicher Mängel aus eigener Kraft. Allerdings wurden die Länder und das

am Projekt prominent beteiligte BBK über die genauen Ablehnungsgründe, die in umfassend

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 23 von 83

aufbereiteter Schriftform vorliegen (seit 2.3.20 auch SV AL KM), bis heute im Unklaren

gelassen. Dieser Umstand wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass die inzwischen unter

Federführung der Länder fortgesetzte Arbeit an einem Neuentwurf der KRITIS-Strategie

erneut scheitern wird.

Selbstverständlich ist auch die Entscheidung, die Federführung einer erneuerten Strategie,

die ihrem Rang nach (wie bei der noch geltenden Strategie) im Bundeskabinett verabschiedet

werden soll, in die Hände der Länder zu legen, nicht unbedingt konstruktiv. Wenn diese

Gemengelage nicht grundlegend aufgearbeitet und neu geordnet wird, ist selbst mit einem

Neuaufbruch unter dem Eindruck der Coronakrise das Vorhaben einer erneuerten nationalen

KRITIS-Strategie – auch mit Perspektive auf das von der Strategie abzuleitende nationale

Regierungsprogramm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen – bis auf weiteres nicht viel zu

erwarten.

  1. Was hätte bei der Gefahrenbewertung beachtet werden

müssen?

Auf der Basis der vorhergehenden Erkenntnisse wird deutlich, was eine Gefahrenbewertung

ausmacht und wofür sie gebraucht wird. In 5.1 wird eine Methode zur Überprüfung der

Qualität einer Gefahrenbewertung vorgestellt. Anschließend werden verschiedenen Ansätze

von Plausibilitätsprüfungen skizziert.

5.1 Anleitung zur Gefahrenbewertung mit Checkliste

Grundlage jeder Krisenintervention zur Abwehr einer außergewöhnlichen Gefahr ist eine

umfassende Erhebung von entscheidungsrelevanten Sachverhalten und eine Bewertung der

drohenden Gefahren, die alle für die Ermittlung der Gefahren relevanten Aspekte einbeziehen

und den Handlungsbedarf begründen. Prognosen, Szenarien (alternative Projektionen) und

Maßnahmen müssen einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden, bevor sie zum Maßstab

und Gegenstand von Entscheidungen gemacht werden können.

Um die Einhaltung diese Anforderungen in einer konkreten Lage zu verifizieren, braucht man

eine daraus abgeleitete und ergänzte Checkliste.

Falls Maßnahmen der Krisenintervention mehr als nur schwache negative Nebenwirkungen

haben, müssen die ursprünglichen Gefahren und die hinzutretenden Gefahren in einer

Multigefahren-Bewertung erfasst werden um zu vermeiden, dass die Kollateralschäden

größer werden, als der abzuwehrende Schaden durch die erste Gefahr.

Eine solche Checkliste gibt es bisher nicht. Sie wurde weder vor, noch nach der Lükex 07

oder der Risikoanalyse von 2012 entwickelt – was ich hiermit nachhole:

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 24 von 83

Krisenmanagement-Checkliste für die Teil 1: Einzel-Gefahrenlagen

Qualitätskontrolle einer Gefahrenbewertung

und der dafür erforderlichen Prozesse

Nr. Anforderungen / Qualitätskriterien 1. Beurteiler 2. Beurteiler

1 Gegenstand einer Krisenintervention ist die Abwehr von

Gefahren, die außerhalb der Krise nicht bestehen.

2 Um eine Gefahr korrekt einschätzen zu können, sind alle

entscheidungsrelevanten Sachverhalte (Daten und

Rahmenbedingungen) zu erheben.

3 Daten und Rahmenbedingungen, die für die Beurteilung einer

Gefahr irrelevant sind, dürfen in eine Gefahrenbewertung nicht

einfließen – sie können das Ergebnis der Beurteilung verfälschen

und zu falschen Maßnahmen führen.

4 Erhobene Daten und einbezogenen Rahmenbedingungen müssen

gegengescheckt, interpretiert und bewertet werden, um aus

ihnen eine Gefahreneinschätzung ableiten zu können.

5 Nur mit einer korrekten Bewertung (Einschätzung) der Gefahr

kann der richtige Handlungsbedarf ermittelt werden

(Wirksamkeit der Gefahrenabwehr)

6 Mindestanforderung für Prognosen und Szenarien, die in die

Entscheidungsfindung einfließen sollen, sowie für Maßnahmen

die zur Gefahrenabwehr erwogen werden, ist das Bestehen einer

Plausibilitätsprüfung.

7 Belastende Schutzmaßnahmen sind nur vertretbar, solange ihre

positive Wirkung eindeutig größer ist, als ihre negativen

Nebenwirkungen (Kollateralschäden).

8 Jede Bewertung kann nur so gut sein, wie Umfang und Qualität

der verfügbaren Daten und einbezogenen Aspekte es hergeben.

Kriterium erfüllt: 􀀳 Kriterium nicht oder unvollständig erfüllt: 􀀲

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 25 von 83

Krisenmanagement-Checkliste für die Teil 2: Ergänzungen für Multi-Gefahrenlagen

Qualitätskontrolle einer Gefahrenbewertung

und der dafür erforderlichen Prozesse

Nr. Anforderungen / Qualitätskriterien 1. Beurteiler 2. Beurteiler

9 Für während einer Gefährdungslage hinzutretende weitere

Gefahren und für Gefahren durch (mehr als leichte)

Kollateralschäden werden nach den gleichen Vorgaben (siehe Teil

1) eigene Gefahrenanalysen durchgeführt.

10 Nur mit einer vollständigen Multi-Gefahrenbewertung kann das

Gesamt-Gefahrenpotential einer Lage erkannt werden.

11 Wirkungen jeglicher Krisenintervention und durch sie zu

erwartende Kollateralschäden sind regelmäßig miteinander

abzugleichen, um in die Lage zu kommen, den potentiellen

Gesamtschaden zu erfassen und die Maßnahmen so auszurichten,

dass der gesellschaftliche Gesamtschaden so gering wie möglich

gehalten wird.

Kriterium erfüllt: 􀀳 Kriterium nicht oder unvollständig erfüllt: 􀀲

5.2 Wie hätte eine Gefahreneinschätzung (gesundheitliche Gefahren) nach

Plausibilität ausgesehen?

Wir gehen von der ersten Gefährdungslage, den gesundheitlichen Gefährdungen unserer

Gesellschaft durch den neuen Virus, aus. Wir nähern uns dem Problem über eine funktionale

Analyse und gleichen diese später mit den bestehenden oder kurzfristig geschaffenen

rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Der Grund für dieses Vorgehen liegt auf der Hand:

Hauptgegenstand dieses Berichts sind die Auswirkungen auf die Kritischen Infrastrukturen in

Deutschland, die dem Krisenmanagement zugearbeitet werden sollen, nicht die

Rechtskonformität des Krisenmanagements. Das wäre jedoch ein Nebennutzen des zweiten

Schwerpunktes, der darin besteht, den Rechtsrahmen auf Plausibilität und Geeignetheit zu

überprüfen. Denn was nützen die schönsten Gesetze, wenn sie in der Praxis nicht optimal

dazu beitragen können, eine Krise zu bewältigen oder wenn sie sogar kontraproduktiv auf die

Krisenbewältigung wirken.

Grundlage jedes Krisenmanagements ist die Bewertung der Gefahr (s.o.), das Einschätzen

möglicher Schäden.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 26 von 83

Im Falle einer Pandemie geht es darum, die möglichen Schäden für unsere Gesellschaft

durch eine lebensgefährliche Erkrankung bis hin zum Versterben der Infizierten / Erkrankten

abzuschätzen. Da weltweit keine ausreichenden Vorerfahrungen bestanden und diese

aufgrund unterschiedliche Rahmenbedingungen in den verschiedenen Staaten auch nur

eingeschränkt verwertbar sind, musste diese Einschätzung auf der Basis des Infektions-,

Erkrankungs- und Sterbegeschehens in Deutschland selbst vorgenommen werden. Zur

quantitativen Beurteilung mussten Daten erhoben, bzw. aus bestehende Datenpools

abgerufen werden. Wichtigste Orientierungsgröße ist dabei das Ausmaß, des bisher

eingetretenen Schadens und seine Dynamik.

Der Schaden, den eine Erkrankung auslösen kann, besteht üblicherweise in

lebensqualitätssenkenden Folgeschäden und dem Tod. Diese beiden Größen mussten also

erhoben und im Kontext bewertet werden. Der Kontext besteht im Wesentlichen aus:

  1. a) Auch ohne Pandemie bestehen erhebliche Risiken, zu Tode zu kommen. Die

Wahrscheinlichkeit zu sterben liegt für jeden Menschen gleichermaßen bei exakt 100

Prozent.

  1. b) In einer Pandemie will sich eine Gesellschaft mit gesonderten Schutzmaßnahmen vor

zusätzlichen Risiken absichern, insbesondere vor einem vorzeitigen Tod, der durch

das pandemische Virus ausgelöst werden könnte.

Der sicherste Indikator für die Gefährlichkeit eines neuen Virus bietet die rückblickende

Sterbestatistik für das Pandemiejahr (und ggf. die Folgejahre). Die Gefährlichkeit des Virus

war für die Gesellschaft umso stärker, je mehr die Zahl von Sterbefällen während der

Pandemie von den durchschnittlichen Werten der Vorjahre nach oben abweicht. – Wenn es

rückblickend sehr viel mehr Sterbefälle in dem betrachteten Zeitintervall gab, war das Virus

sehr gefährlich. Wenn hingegen die Sterbezahlen im Bereich der durchschnittlichen

Schwankungsbreite lagen, hat real für die Gesellschaft keine Gefahr bestanden.

Die Sterbestatistik, aus der wir die Gefährlichkeit ablesen könnten, steht uns erst in einigen

Jahren zur Verfügung. Das hat zwei Konsequenzen:

  1. Selbst die alten Statistiken der vergangenen Jahre sind eine wichtige Ressource, die

für eine Gefahrenabschätzung unersetzlich sind. Da wir die Sterbestatistik für 2020

heute noch nicht haben, müssen wir uns praktikabler Hilfsindikatoren bedienen. Um

die voraussichtlichen Auswirkungen auf die detailliert differenzierte Sterbestatistik

wenigstens für die kurz zurückliegende Zeit der letzten Tage und Wochen zu ermitteln,

müssen wir die tagesaktuellen Sterbefälle, und zwar nicht nur die aus dem

unmittelbaren Corona-Kontext, von den Vergleichszahlen für das normale

(durchschnittliche) Sterbegeschehen in Deutschland, abziehen und mit den

Auswirkungen der allfälligen periodischen Virusinfektionen (+ ggf. anderen

Krankheitswellen) vergleichen.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 27 von 83

  1. Dass die Sterbestatistik für 2020 mit zeitlichem Versatz von wenigen Jahren

jedermann verfügbar sein wird, macht Zweckmäßigkeit und Angemessenheit aller von

der Regierung ergriffenen Maßnahmen nachträglich vollständig überprüfbar und

bewertbar. Alle Nachteile, die durch falsche oder unangemessene Schutzmaßnahmen

(entweder zu viele oder zu wenige) bis dahin eingetreten sein werden, werden dann

den Stellen und Personen angelastet, die in diesen Wochen und Monaten über die

laufenden Maßnahmen entschieden haben und weiterhin entscheiden werden. Das

kann in der Konsequenz u.a. zu Schadenersatzansprüchen führen, die

glücklicherweise nur dann zum Tragen kommen können, wenn das Verhalten des

Krisenmanagements und alle Entscheidungsprozesse aus heutiger Sicht zumindest

einer einfachen Plausibilitätsprüfung standgehalten haben, bzw. wenn eine sorgfältige

Plausibilitätsprüfung überhaupt unternommen wurde.

Eine Plausibilitätsprüfung empfiehlt sich natürlich nicht nur aus haftungsrechtlichen Gründen,

sondern auch, weil alle am Krisenmanagement beteiligten sicherlich eine bestmögliche Arbeit

machen, sowie Schäden und Nachteile von unserem Land abwehren wollen.

Stark eingreifende staatliche Schutzmaßnahmen sind nur dann der Bevölkerung zumutbar

und rational geboten, wenn sie unserer Gesellschaft (nicht dem Einzelnen) einen deutlichen

Vorteil gegenüber dem Nichthandeln des Staates bieten können. Auch dies muss also vor

dem Einleiten der Maßnahmen, und auch noch laufend die Maßnahmen begleitend,

gegengeprüft werden.

Es ist aus mehreren Gründen wichtig, dass das heutige Agieren des Krisenmanagements und

der politischen Entscheider eine angemessene Plausibilität aufweist. Denn wäre schon die

Plausibilität nicht gegeben, müsste schlimmstenfalls mit folgenden Konsequenzen gerechnet

werden:

  1. Das Krisenmanagement und die politischen Entscheider könnten einen gigantischen

vermeidbaren Schaden für unsere Gesellschaft anrichten, der das Potential des

Coranavirus bei weitem übertreffen und unvorstellbares Leid auslösen kann. Die

Stabilität unseres Gemeinwesens und der Bestand unserer staatlichen Ordnung

können gefährdet sein.

  1. Es drohen dem Staat hohe Schadenersatzforderungen wegen offenkundiger

Fehlentscheidungen.

Das bedeutet, dass folgende Todesfälle bei der Beurteilung der Gefährlichkeit eines neuen

Virus für unsere Gesellschaft nicht mitzuzählen sind, da sie im Rahmen der normalen

Schwankungsbreite des durchschnittlichen Sterbegeschehens liegen:

􀁸 Todesfälle, bei denen zwar eine Infektion mit dem neuartigen Virus nachgewiesen

werden kann, die Erkrankung an ihm aber nicht die Todesursache war

􀁸 Menschen, bei denen der Tod kurz bevorstand, und die beim Hinzukommen jeglicher

alltäglicher Belastungen oder zusätzlicher Erkrankungen (z.B. grippaler Infekt,

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 28 von 83

Lungenentzündung, …) nur noch palliativ medizinisch behandelt worden wären

(Sterbebegleitung).

Erst die dann gewonnene, bereinigte Zahl an zusätzlich eingetretenen Todesfällen, ist

Grundlage für die Einschätzung der Gefährlichkeit eines Viruses und die Planung von

gesonderten Schutzmaßnahmen des Staates.

Zur Gefährdungsanalyse und zur Planung von Schutzmaßnahmen gehören weiterhin, dass

die negativen Auswirkungen der Maßnahmen stets systematisch mit erfasst werden und die

Effekt laufend miteinander abgeglichen und saldiert werden müssen, um jederzeit gegen die

größte Gefahr kämpfen zu können.

Maßnahmen müssen konsistent sein, sie dürfen sich in ihrer Wirkung nicht gegenseitig

nivellieren oder überkompensieren.

5.3 Plausibilitätsprüfung für die Gefährdung durch den Corona-Virus

mittels Gegenüberstellung von Todesursachen

Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, gemeinsam getragen von RKI und DESTATIS

ermöglicht es für jedermann, Statistiken über das Sterbegeschehen zusammen zu stellen

(http://www.gbe-bund.de/glossar/Todesursachenstatistik.html).

Hier habe ich eine Tabelle der 20 häufigsten Todesursachen modifiziert, um auf

wöchentlicher Basis für ganz Deutschland einen Vergleich zwischen dem durchschnittlichen

und dem aktuellen Sterbegeschehen vornehmen zu können. Dies habe ich für die erste

Woche des Lockouts (23.-29.3.) und die letzte vollständige Woche (13.-19.4.), in der die

Entscheidungen getroffen wurden, die Maßnahmen nur partiell zurück zu nehmen. Die Zahlen

für Todesfälle stammen aus Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-

Pandemie_in_Deutschland, abgerufen am 23.4.20). Die vier Krankheiten, die ein vergleichbares

Symptomspektrum aufweisen wie Covid-19, habe ich zusätzlich zusammen gerechnet (blau).

Was noch fehlt, um eine sinnvolle Aussage machen zu können, sind die aktuellen

Sterbezahlen für die anderen 20 Krankheiten. Selbstverständlich zählt immer die originäre

Todesursache. Diese grobe Übersicht müsste nach Altersgruppen verfeinert werden.

Die Gefährlichkeit steigt, je mehr die durchschnittlichen Sterbezahlen übertroffen wird. Es

muss also zusätzlich die Dynamik der Ausbreitung berücksichtigt werden. Wird sie gar nicht

übertroffen, besteht überhaupt keine besondere Gefahr für unsere Gesellschaft.

Es gibt weitere Todesursachen, die über die individuelle Bedeutung hinaus auch eine

gesellschaftliche haben, was sich auch im Sterbegeschehen manifestiert. Die Zahl der

Suizide liegt bei ca. 9.000 jährlich in DEU. Um wie viel steigt diese Rate durch die Krise?

Steigt sie durch die medizinische Bedrohung (den Virus), oder steigt sie wegen der negativen

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 29 von 83

Auswirkungen der Schutzmaßnahmen (Depressionen, Psychosen, …)? Noch größere

Dimensionen nehmen Todesfälle durch Alkohol (77.000 Tote jährlich) und Tabak (110.000

Tote) an. Interessant sind diese beiden Beispiele, weil sie durchkommerzialisiert sind und

gewichtige ökonomische, individuelle und gesellschaftliche Interessen miteinander

konkurrieren. Im Mittelpunkt steht der freiwilligen „Genuss“ (daher auch nur bedingt

vergleichbar mit den Risiken einer Virusinfektion. Aber in der Konsequenz geht es auch dabei

um Leben und Tod und wie sich eine Gesellschaft in Form von rechtlichen Vorgaben oder

ethischen Orientierungen zu dem Phänomen stellt, oder ob sie indifferent bleiben könnte. In

Anlage 3 werden nur beispielhaft einige gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Alkohol

und Tabak zusammengefasst (Marktvolumen, Gesundheitskosten, Steuereinnahmen). Die

Sterbestatistik wird Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich die Coronakrise auf das

Sterbegeschehen durch Drogen und anderen Substanzen ausgewirkt haben wird.

Sterbefälle für die 20 häufigsten Todesursachen absolut.

Diese Tabelle bezieht sich auf:

Jahr: 2017, Region: Deutschland, Alter: alle Altersgruppen, Geschlecht: Insgesamt, TOP: 20, Art

der Standardisierung: Standardbevölkerung “Deutschland 2011” Info

ICD10

Jahresdurchschnitt

(2017)

Wochendurchschnitt

(2017)

Woche vom

23.-29. März

2020

Woche vom

13.-19. April

2020

Altersstandardisierte

Sterbeziffer

Sterbefälle Sterbefälle Sterbefälle Sterbefälle

Covid-19

(Coronavirus SARSCoV-

2)

0 0 0 334 1.621

Alle angezeigten ICDPositionen

545,9 504.223 9.697 ? ?

Alle ICD-Positionen 1.017,3 932.272 17.928 ? ?

Summe ähnlicher

Vergleichsdiagnosen

114.310 2.198 ? ?

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 30 von 83

und unbekannte

Diagnose

I25 Chronische

ischämische

Herzkrankheit

81,6 76.929

1.479

? ?

C34 Bösartige

Neubildung der

Bronchien und der

Lunge

52,2 45.031

866

? ?

I21 Akuter

Myokardinfarkt

51,6 46.966 903 ? ?

F03 Nicht näher

bezeichnete Demenz

40,4 39.459 759 ? ?

I50

Herzinsuffizienz

39,5 38.187 734 ? ?

J44 Sonstige

chronische obstruktive

Lungenkrankheit

35,9 32.104

617

? ?

I11 Hypertensive

Herzkrankheit

25,1 24.552 472 ? ?

I48 Vorhofflattern

und Vorhofflimmern

21,8 20.982 404 ? ?

C50 Bösartige

Neubildung der

Brustdrüse [Mamma]

21,0 18.588

357

? ?

R99 Sonstige

ungenau oder nicht

näher bezeichnete

Todesursachen

20,7 18.062

347

? ?

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 31 von 83

C25 Bösartige

Neubildung des

Pankreas

20,5 18.005

346

? ?

J18 Pneumonie,

Erreger nicht näher

bezeichnet

20,2 19.113

368

? ?

C18 Bösartige

Neubildung des Kolons

17,5 15.715

302

? ?

E14 Nicht näher

bezeichneter Diabetes

mellitus

16,1 14.925

287

? ?

I63 Hirninfarkt 16,0 14.864 286 ? ?

C61 Bösartige

Neubildung der

Prostata

X X X ? ?

I64 Schlaganfall,

nicht als Blutung oder

Infarkt bezeichnet

13,2 12.587

242

? ?

I69 Folgen einer

zerebrovaskulären

Krankheit

13,1 12.271

236

? ?

G20 Primäres

Parkinson-Syndrom

11,9 11.050 213 ? ?

C80 Bösartige

Neubildung ohne

Angabe der

Lokalisation

11,8 10.515

202

? ?

(unbearbeitetes Original als Quellennachweis: http://www.gbe-bund.de/oowa921-

install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/&p_aid=3&p_a

id=52300294&nummer=517&p_sprache=D&p_indsp=-&p_aid=43971634)

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 32 von 83

5.4 Elemente einer Plausibilitätsprüfung für die Auswirkungen einer

Wirtschaftskrise auf die Pflege

Die Analyse von besonders gefährdeten Menschen, offenbart ein Profil: hohes Alter,

schwere Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit, erkennbar kurz vor dem Lebensende stehend.

Um den potentiellen Schaden für diese Zielgruppe durch einen starken und länger

anhaltenden Konjunkturrückgang überschlagsweise einschätzen zu können, kann beispielhaft

die Entwicklung des Gesundheits- und Pflegesystems unserer Gesellschaft einer historischen

Betrachtung unterzogen werden.

Unsere Gesellschaft hat über die letzten Jahrzehnte einen hohen Anteil ihrer

volkswirtschaftlichen Überschüsse für die Ausweitung eines Systems investiert, mit dem das

Leben ihrer Mitglieder erheblich verlängert werden konnte. Die durchschnittliche

Lebenserwartung der Bevölkerung in DEU stieg von 1950 bis heute um 13 bis 14 Jahre. Das

ist ein Geschenk, das unsere Gesellschaft der älteren Generation gemacht hat. Es hat sich

gleichsam ein geltender Standard herausgebildet, der im Bewusstsein der Bevölkerung zu

einem Besitzstand geworden ist, hinter den niemand zurückfallen möchte.

Ein bedeutendes Element ist die Optimierung des Pflegesektors über die letzten Dekaden.

Es ist schwer einzuschätzen, wie groß der Anteil der gestiegenen Lebenserwartung ist, der

auf die aufwendigere Pflege entfällt, aber über die volkswirtschaftlichen Dimensionen des

Pflegesektors liegen gute Informationen vor.

Ich habe die Pflegebranche exemplarisch herausgegriffen und die zentrale Daten und

Rahmenbedingungen in Anlage 4 aufbereitet.

Zusammenfassende Kurz-Info zu Pflegebranche und Pflegemarkt:

Marktvolumen: heute 50 Mrd. Euro, bis 2030 sollen es 84 Mrd. Euro sein

(in einem wachstumsreduzierten Szenario nach Roland Berger: 64 Mrd.

Euro in 2030)

Beschäftigte: heute 1,2 Mio. (= 3,6 % aller sozialversicherungspflichtig

Beschäftigten), bis 2030 sollen es 20 % mehr sein

Pflegebedürftige: heute 3,5 Mio. Menschen, in 2030 voraussichtlich 4,1

Mio., in 2050 voraussichtlich 5,3 Mio.

Was geschehen soll, wenn diese Überschüsse irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen

oder sogar Defizite auflaufen, wurde nie vereinbart. Aber es liegt auf der Hand: die Ausgaben

und Leistungen werden reduziert werden müssen, die Versorgung wird schlechter, die

Lebenserwartung wird sinken.

Eine große Wirtschaftskrise, ausgelöst durch die Coronakrise (oder: durch die Fehler im

Krisenmanagement der Coronakrise), wird diese Situation noch schneller eintreten lassen, als

ohnehin schon zu befürchten war. Die Diskussionen darüber werden in Kürze auf unsere

Gesellschaft zukommen. Der Aufwand für Pflege wird künftig viel mehr als heute in scharfe

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 33 von 83

Konkurrenz geraten zu Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, die

Förderung von wirtschaftlich verwertbaren Innovationen und die Qualifizierung des

Humankapitals, das in DEU (bezogen auf den Schüler-Nachwuchs) aufgrund begrenzter

natürlicher Qualitäten (im Vergleich zu anderen Weltregionen) ganz besonderer Hege und

Pflege bedarf.

In einer weiteren Stufe meiner Plausibilitätsprüfung gelange ich zu weiteren Widersprüchen,

die es mir stark erschweren, Prognosen in meinem Verantwortungsbereich, dem Schutz

Kritischer Infrastrukturen, anzustellen:

Es werden zwar weitreichende Einschränkungen bezüglich des Kontaktes zwischen den

Menschen und deren Freizügigkeit / Bewegungsfreiheit vorgenommen, von diesen werden

jedoch so zahlreiche Ausnahmen zugelassen, dass angesichts der offenkundig starken

Ansteckbarkeit der Krankheit die beabsichtigte Wirkung der Einschränkungen nicht erzielt

werden kann. Gleichwohl bleiben die Einschränkungen, die schwerwiegende negative

Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben, weiter in Kraft. Zwar kann ich die Gründe für

die Ausnahmeregelungen gut nachvollziehen, komme aber trotzdem nicht umhin

festzustellen, dass die eigentliche Regelung dadurch nivelliert wird.

Dem wird ein Entscheidungsprozess vorangegangen sein, bei dem mit Sicherheit auch die

grundsätzliche Gefährlichkeit der Infektion berücksichtigt wurde. Wenn die jeweiligen

Entscheider von einer hohen Gefährlichkeit und insbesondere von einer leichten

Übertragbarkeit ausgegangen wären, hätten sie umfangreiche und zudem schwer

überprüfbare Ausnahmen in diesem Umfang nicht zulassen dürfen. Wenn die Entscheider

von einer geringen Gefahr ausgegangen wären, hätten sie Einschränkungen insgesamt

aufheben müssen, um den Schaden zu begrenzen, der durch die Schutzmaßnahmen

entsteht und täglich aufwächst.

5.5 Ansätze einer Plausibilitätsprüfung aus Perspektive der

Bevölkerungsentwicklung

Es kann nach drei Schadensklassen und Arten von Schutzgütern zu differenziert werden:

nach materiellen Schäden, nach Schäden durch das Sterben von Menschen und Schäden

durch den Verlust von Lebens(zeit)erwartung.

Alleine aus dem BMI unmittelbar verfügbaren Ressourcen ist es möglich, Vergleichszahlen zu

überschlagen. Als Basis meiner folgenden Einschätzungen dienten die öffentlich

zugänglichen Wissensbestände des BiB (Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, dem

BMI nachgeordnete Behörde).

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 34 von 83

Das zusammenfassende Ergebnis meiner nachfolgenden Analyse: Eine starke

Wirtschafts- und Gesellschaftskrise mit eine negativen Entwicklung des BIP um 8 bis 10

Prozent im ersten Jahr, in der das Wohlstandsniveau längerfristig sinkt, wird nicht nur die

Lebensqualität senken, sondern auch die Lebenserwartung der Bevölkerung. Am 24. April

2020 warnte EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Staats- und Regierungschefs der EU

(https://www.fondsprofessionell.de/news/zahl-tweet-des-tages/headline/zahl-des-tages-15-prozent-197155/) vor einem

Einbruch um bis zu 15 Prozent. Wie stark die Effekt sein wird, und somit die

Größe/Bedeutung der Gefahr, die von ihm für die Bevölkerung ausgeht, kann nur geschätzt

werden – wie auch bei der Erhebung der Gesundheitsgefahren durch den Coronavirus. Als

Kriterium für eine quantitative Schätzung habe ich die Steigung der Lebenserwartung in den

letzten Jahrzehnten in Korrelation mit der Wohlstandsentwicklung heran gezogen. Demnach

könnte befürchtet werden, dass durch die bereits bis heute aufgelaufenen

Regierungsmaßnahmen in der Coronakrise potentielle Lebenszeit im Umfang von bis

zu mehreren Millionen Lebensjahren der Bevölkerung Deutschlands vernichtet wurde.

Dieser Befund wurde von mir mit relativ einfachen Mitteln und sicherlich recht grob erhoben.

Es ist dringend erforderlich, die von mir skizzierten Wirkungszusammenhänge von Experten

z.B. des BiB kurzfristig klären und erläutern zu lassen. Das Krisenmanagement der BReg

kann nur dann einen Abgleich von Gefahren vornehmen, wenn für die beiden aktuell

drohenden Gefahren die Gefahr an Corona schwer zu erkranken und daran zu

sterben, sowie die nunmehr eintretende Wirtschafts- und Gesellschaftskrise mit ihren

lebensverkürzenden Effekten ausreichend Informationen und Daten zur Verfügung

eingeholt werden. Es gilt, ein bisheriges Versäumnis auszugleichen.

Einzelaspekte:

Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 4 aus 2010

􀁸 2010 wurde vom BiB ermittelt (Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 4 aus 2010), dass

die längere Lebenserwartung positive auf die erwachsenen Kinder der Alten haben bis

diese zwischen 50 und 60 Jahren sind. Dann dreht sich der Effekt um: Die

(erwachsenen) Kinder werden stärker belastet durch die Pflege der Eltern.

Fazit: Wenn die Lebenserwartung sinkt, können jüngere Menschen, die im

Arbeitsleben einer Volkswirtschaft höchste Bedeutung haben, weil sie die

Wirtschaftsleistung (Wertschöpfung einer Gesellschaft) tragen und für die Innovationen

zuständig sind, weniger durch unterstützende und mithelfende Eltern entlastet werden,

und werden früher als heute mit den Belastungen der Pflege ihrer Eltern belastet. Sie

werden dadurch über ihre aktive Lebensarbeitsphase tendenziell weniger leisten

können als heute, also weniger zum Steueraufkommen beitragen und das

Wohlstandsniveau unserer Gesellschaft schlechter absichern können.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 35 von 83

Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland 1960–2010

https://de.wikipedia.org/wiki/Lebenserwartung

https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/S37-Lebenserwartung-Alter-65-Geschlecht-West-

Ost-ab-1958.html?nn=9992060

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 36 von 83

Wohlstand Deutschlands 1950–2008 gemessen am BIP pro Kopf in €

https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlstand

Selbst wenn man berücksichtigt, dass Wohlstand eine schwer messbare Größe ist und

unterschiedliche Messmethoden und Interpretationen möglich sind (siehe unten, Der

Spiegel), besteht keine Zweifel daran, dass im Laufe der Zeit immer mehr Ressourcen für

Maßnahmen aufgewendet wurden, die der Verlängerung der durchschnittlichen

Lebenserwartung dienten. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte, dass nun massiv

einzubrechen droht, machte das möglich.

„Geld ist nicht alles: Während das Bruttonationaleinkommen der Deutschen in den

vergangenen 15 Jahren meist stieg, schwankte der Nationale Wohlfahrtsindex erheblich. In

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 37 von 83

zwei unterschiedlichen Varianten fasst dieser insgesamt 21 Indikatoren zusammen – von der

Luftverschmutzung über den Alkohol- und Drogenmissbrauch bis zum Wert der Hausarbeit.“

SPIEGEL ONLINE aus Der Spiegel, 2.4.2012

https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wie-misst-man-wohlstand-kritik-ambruttoinlandsprodukt-

bip-a-824877.html

Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 5 aus 2011

􀁸 In einem Beitrag (Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 5 aus 2011) wurde dargelegt,

dass sich im Zuge der Erhöhung der Lebenserwartung auch die Phase kurz vor dem

Tod, in dem gesundheitliche Einschränkungen bestehen und die Lebensqualität

schlecht bis sehr schlecht ist, verringert. Den Menschen geht es länger gut. Eine

einzelne neuere Studie konnte diese Aussage aufgrund sehr spezieller

Datengrundlage zwar nicht bestätigen, dennoch gingen die Autoren des BiB in 2011

von der Wirksamkeit der sogenannten „Kompression der Morbidität“ aus.

Fazit: Wenn die Lebenserwartung sinkt, wird das möglicherweise dazu führen, dass die

Menschen im Alter mehr Leid erleben werden und diesem Zustand länger ausgesetzt

sein werden als heute (wo sich dieser Zustand vergleichsweise auf kürzere Zeit

komprimiert).

􀁸 In einem zweiten Beitrag des gleichen Heftes wird dargelegt, dass

Generationenkonflikte zwischen Alt und Jung nicht so stark sind und sein werden, wie

von vielen befürchtet. Als Gründe werden drei Annahmen genannt: Die Zustimmung

dazu, dass die Alten zu versorgen sind, ist in der Gesellschaft sehr groß. Außerdem

seien die Interessenlagen der Alten zu heterogen, als dass es zu einem einheitlich,

homogenen Interessen der ganzen Kohorte kommen würde. Auch die relativ engen

Verbindungen in den Familien sprächen für geringe Konfliktrisiken, denn die führten

dazu, dass die gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme relativ stark

ausgeprägt sind.

Fazit: Im Falle einer geringeren Lebenserwartung und schlechterer Wirtschaftskraft ist

m.E. mit erheblichen Veränderungen zu rechnen: Die Belastung der jüngeren,

arbeitenden Bevölkerung nimmt zu, was das Verständnis der arbeitenden Bevölkerung

für die Notwendigkeit der Mitversorgung der älteren Generationen auf eine Probe

stellen wird. Der Wettbewerb von Betroffenengruppen um Anteile aus den Sozialletats

wird zunehmen, weil das zu verteilende Gesamtvolumen sinken wird.

Viel wird von der Solidaritätsbereitschaft der Bevölkerung abhängen:

Zitat aus dem Fazit des Artikels (es geht darum, wie stabil die

Generationensolidarität ist und wovon sie abhängt): „Dennoch ist die

wohlfahrtsstaatliche Generationensolidarität in Zeiten des demografischen

Wandels und fiskalischer Austeritätszwänge kein Selbstläufer. Die

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 38 von 83

Solidaritätsbereitschaft zwischen den Generationen hängt zukünftig auch davon

ab, dass die Politik die gemeinsamen Interessen von Jung und Alt betont und

eine spalterische Rhetorik vermieden wird (Streeck 2009: 9). Darüber hinaus gilt

es, auch im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Reformen und das heißt mithin in

Zeiten sozialpolitischer Einschnitte diese Solidaritätsbereitschaft zu

bewahren und ihre Basis nicht zu zerstören.“

Ob unter den harten Realbedingungen einer massiven Wirtschafts- und

Gesellschaftskrise, sowie bei abgesenktem Wohlstandsniveau, Werbekampagnen der

Regierungen in den Medien zur Erhörung der generationenübergreifenden Solidarität

in der Gesellschaft (wie sie heute vielfach bei vergleichbaren Anlässen unter Berufung

auf und Betonung von ethischen Normen gefahren werden) noch beitragen können,

erscheint fraglich. Vielleicht werden sie von der Bevölkerung eher als Zynismus

empfunden, durch den sich ihr Ohnmachtsgefühl eher noch verstärkt.

Funktionieren wird das vielleicht noch so lange, wie der Staat zum Füllen der Rentenund

Sozialkassen zusätzliche Schulden machen kann. Denn staatliche Transfers sind

offenbar so etwas wie Anschubfinanzierungen und Motivator für das Praktizieren

privater Solidarität:

„Öffentliche Transfers bilden die Grundlage für private, innerfamiliäre

Transferleistungen zwischen den Generationen, und insbesondere für die

Armen unter den Älteren besteht das Risiko einer verringerten Einbindung in

familiäre Zusammenhänge aufgrund geringer Ressourcen (Szydlik 2008: 18).

Daher besteht nicht zuletzt im Interesse der Generationensolidarität auch in

Zukunft die Notwendigkeit einer Renten- und Sozialpolitik, die die ärmeren

Sozialschichten berücksichtigt und ihnen eine vollwertige Teilhabe am sozialen

Austausch ermöglicht.“

Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 5 aus 2013

􀁸 In einem Beitrag aus 2013 wird Bezug genommen auf das „Dritte Alter“, in dem die

Menschen trotz fortgeschrittenen Lebensalters eine hohe Autonomie und

Lebensqualität erfahren.

„Alternsforscher bezeichnen den Lebensabschnitt zwischen dem Eintritt in den

Ruhestand und dem Beginn dauerhafter Einschränkungen in Folge von Krankheiten,

die eine Abhängigkeit von anderen Menschen begründen, als „Drittes Alter“. Es

handelt sich um eine relativ neue Lebensphase, die sich in Deutschland seit der Mitte

des 20. Jahrhunderts im Zuge der allgemeinen Lebensverlängerung herausbildete.“

(Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 5 aus 2013, Seite 2)

Gesellschaftliche Veränderungen werden diese Phase verkürzen, wenn die Leistungen

des Gesundheitswesens und der Sozialversorgung aufgrund starken Geldmangels und

Wohlstandsverlusts der Gesellschaft zurück gefahren werden müssen.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 39 von 83

Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 6 aus 2015

􀁸 Beitrag (Bevölkerungsforschung – aktuell, Heft 6 aus 2015).

Aus dem Vorwort: „Zu den großen Errungenschaften moderner Gesellschaften gehört

der bemerkenswerte Anstieg der Lebenserwartung. Verantwortlich für diese

Entwicklung ist neben dem Wachstum des Wohlstands und der Zunahme

gesunder Lebensweise auch die medizinische Versorgung.“

Fazit: Das bedeutet umgekehrt, dass eine Schrumpfung des Wohlstands zu einer

geringeren Lebenserwartung führen wird. Durch die von den Schutzmaßnahmen

ausgelöste Wirtschafts- und Gesellschaftskrise verlieren die Mitglieder unserer

Gesellschaft Lebensjahre. Da der Zuwachs der Lebenserwartung innerhalb der letzten

50 Jahre bei über zehn Jahren liegt (sowohl bei Frauen, als auch bei Männern, als

auch bei ), muss davon ausgegangen werden, dass für den Fall eines Rückfalls auf

das Wohlstandsniveau des Jahres 2000 oder gar des Jahres 1980 mit einem Verlust

von mindestens einer Größenordnung von mehreren Millionen Lebensjahren für

unsere Gesellschaft auszugehen ist.

5.6 Exkurs Lebensqualität im Alter und Sterblichkeit

(Quelle: Methoden und Grundlagen des Lebenslagenansatzes, ZeS (Zentrum für Sozialpolitik) der Uni Bremen,

Wolfgang Voges, Olaf Jürgens, Andreas Mauer, Eike Meyer, Endbericht , November 2003, zum Download auf

der Internetseite des BMAS: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDFPublikationen/

forschungsprojekt-a350-methoden-und-grundlagen-deslebenslagenansatzes.

pdf?__blob=publicationFile)

Lebensqualität im Alter ist u.a. von dem Renteneintrittsalter abhängig. Durch die

Notwendigkeit länger arbeiten zu müssen, verringert sich folglich die Lebensqualität.

„Im letzten Drittel der Erwerbsphase wird Personen erst richtig bewusst, dass Lebenszeit ist

ein knappes Gut ist. Vor diesem Hintergrund sind sie an einem möglichst frühen Ausscheiden

aus dem Erwerbsleben interessiert, um sich nicht mehr den Zwängen belastender

Erwerbsarbeit unterwerfen müssen.“ (Seite 145)

Der vorzeitige Ausstieg aus dem Arbeitsleben ist nur auf eine Interessenlage zurück zu

führen, sondern korrespondiert mit den Belastungen des Arbeitslebens.

„Die Wahrnehmung von Arbeitsanforderungen als Belastungen resultiert häufig aus

abnehmenden individuellen Leistungsvermögen sowie nicht mehr ausreichenden Ressourcen,

um sich die aus der Arbeitstätigkeit ergebenden erhöhten Beanspruchung ausgleichen zu

können. Von den Arbeitnehmer in der Spätphase des Erwerbslebens, die über ernste

Symptome körperlicher und geistiger Erschöpfung klagen, hatten vier Fünftel in Erwägung

gezogen, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und Rente zu gehen (Voges 2003c).

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 40 von 83

Ein Fünftel aller Rentner scheidet wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vorzeitig aus dem

Erwerbsleben (VDR 2001). Bei nahezu zwei Dritteln dieser Frührentner handelt es sich um

vormalige Arbeiter. Dagegen kommt mehr als die Hälfte der Frührentnerinnen aus dem

Angestelltenbereich. In neun von zehn Fällen liegt eine Krankheit vor und nur bei jedem

Zehnten ein Unfall.“ (Seiten 145-146)

Der Anteil vorzeitiger Aussteiger aus dem Arbeitsleben ist seit längerem relativ hoch (im

vorherigen Zitat wurden Zahlen von 2001 berücksichtigt). Bei einem stärkeren Wettbewerb

und zunehmender Belastung auf dem Arbeitsmarkt ist damit zu rechnen, dass diese Zahl

weiter steigen wird. Möglicherweise muss in der Not trotzdem weiter gearbeitet werden, was

allerdings zu einer geringeren Lebenserwartung führen wird.

Selbst bei Frühverrentungen nach dem heutigen System (bei stabilem Wohlstand), hatten die

Betroffenen durchschnittlich schneller stark beeinträchtigende gesundheitliche Probleme, als

die länger arbeitenden.

„Ein früher Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand bedeutet daher keinesfalls,

dass sich dadurch ein unbeschwertes Rentnerdasein mit besseren Lebenschancen eröffnet.

Die Realität zeigt vielmehr, dass die Chancen dafür je nach Verrentungszeitpunkt im

Lebensverlauf höchst unterschiedlich verteilt sind. Von den GEK-Versicherten werden 5 % mit

55 bis 57 Jahren, 38 % mit 58 bis 60 Jahren, 44 % mit 61 bis 63 Jahren und nur 13 % mit 64

bis 66 Jahren verrentet. Die gesundheitlichen Beschwerden führen dazu, dass bei den im Alter

von 55 bis 57 Jahren Verrenteten Pflegebedürftigkeit früher im Lebensverlauf auftritt als bei

denen, die zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Von diesen

Frührentnern ist bereits bei Rentenbeginn mehr als ein Prozent pflegebedürftig.“ (Seite 146)

Ihre Pflegebedürftigkeit tritt schneller ein und belastet die Gesundheits- und Sozialsysteme.

Ihr Sterblichkeitsrisiko steigt stark an.

„Nach fünf Jahren ist der Anteil nur geringfügig angestiegen, da ein großer Teil der

pflegebedürftigen inzwischen verstorben ist. Ein Fünftel der mit 55 bis 57 Jahren Verrenteten

ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Ein Vergleich mit den im Alter von 58 bis 60 Jahren,

61 bis 63 Jahren und 64 bis 66 Jahren Verrenteten zeigt, dass das Pflegerisiko für diese

Rentner deutlich unter einem Prozent liegt. Auch das Sterblichkeitsrisiko reicht mit 5 bis 6 %

kaum an das der 55 bis 57jährigen Frührentner heran (Voges 2003c).“

Trivial erscheint die Erkenntnis, dass die Vulnerabilität von Rentnern – und damit ihre

Lebensqualität – von ihrem Gesundheitszustand abhängt.

„Die gesundheitlichen Probleme erhöhen auch die Vulnerabilität der Lebenslage von

Rentnern.“ (Seite 147)

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 41 von 83

  1. Auswertung der Erfassung von Daten, die für

Gefährdungsbewertungen und Entscheidungen über

Maßnahmen herangezogen wurden

Als Datenquelle für die Gefährdungseinschätzung stehen dem Krisenmanagement zur

Verfügung:

􀁸 täglich aktuelle Meldungen und Analysen des gemeinsamen Krisenstabs von BMI und

BMG (diese werden vom Robert-Koch-Institut zusammengestellt und fokussieren die

gesundheitliche Lage; seit kurzem ergänzt durch einzelne Bausteine aus anderen

Sicherheitsrelevanten Bereichen wie z.B. BW, Extremismus)

􀁸 Meldungen des internen BMI-Lagedienstes (herausgegeben vom Lagezentrum des

BMI und basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)

􀁸 Lagedienst Innere Sicherheit (herausgegeben vom Lagezentrum des BMI und

basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)

􀁸 Berichte und Lageberichte des Cyber-Abwehrzentrums (Cyber-AZ)

􀁸 Berichte und Lagemeldungen des BSI (unterschiedliche Formate auf Tages-, Wochen

und Monatsbasis)

􀁸 Lageberichte des BBK zum Status in Kritischen Infrastrukturen

􀁸 Lageberichte des Gemeinsamen Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern

(GMLZ)

Die vorgenannten Aufbereitungen sind nicht für die Allgemeinheit bestimmt, sondern einem

begrenzten Kreis von Menschen zugänglich, insbesondere denen, die mit dem

Krisenmanagement in der Coronakrise befasst sind (Bundes- und Länderebene). Die

Aufbereitungen unterliegen einer besonderen Vertraulichkeit (VS – nur für den

Dienstgebrauch) und dürfen nicht nach außen gegeben werden. Den Aufbereitungen liegen

jedoch Daten zugrunde, die überwiegend gleichzeitig veröffentlicht werden (siehe die

öffentlich zugänglichen Lageberichte des RKI auf dessen Website).

Einige der genannten Quellen wurden im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch analysiert auf

Verwertbarkeit für die Gefahrenerkennung und für die Gefahrenerkennung im Bereich der

Kritischen Infrastrukturen.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 42 von 83

6.1 Auswertung der BMI Lageberichte (bis 7. April 2020)

Verteiler: BMI-Lageberichte: intern BMI; Lageberichte Innere Sicherheit: ChBK, AA, BMF,

BMJV, BMVg, BMAS, BMEL, BMG, BMU, BMVI, BMZ, BMWi, BPA, BPrA, BT, Alle IM, BAMF

(LZ), BBK, GMLZ, BDBOS, BfV, BKA Wiesbaden, BKA Berlin, BKA Meckenheim, BPOLP,

BSI, THW, BND, ZKA, DHPol, GBA

In den Lageberichten des BMI (und wortgleich in den Lageberichten Inneres Sicherheit), die

die Grundlage für Bewertungen und Entscheidungen des Krisenmanagements bildeten,

wurden folgende Daten zur Beschreibung der potentiellen Gefahren des Covid-19 Virus

erfasst. In der ersten Phase, wurden vor allem zwei Werte erfasst und deren Ableitungen

(Zunahme, später Umrechnung auf je 100.000 Bevölkerung, …):

  1. a) Zahl der positiven Testungen (wurden als Infizierte oder Fälle ausgegeben)
  2. b) Zahl der Verstorbenen

Eine Übersicht der Daten enthält die folgende Tabelle:

Die Auswertung der vorstehenden Daten offenbart:

  1. Die Berichterstattung war teils lückenhaft.
  2. Die Berichtskategorien veränderten sich mehrfach, teilweise wurden frühere wieder

aufgegriffen.

  1. Die Daten widersprachen sich teilweise (Stagnation von Entwicklungen, rückläufige (!)

Gesamtzahl von Todesfällen, …).

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 43 von 83

  1. Die Daten der Lageberichte waren für die Einschätzung der Gefahr, die von dem

Coronavirus ausgehen, nicht geeignet (siehe die anderen Kapitel dieses Berichts). Die

Gefahren, die real von dem Virus für die Bevölkerung Deutschlands ausgeht, konnte

damit nicht erfasst werden.

  1. Auch die internationalen Zahlen wurden ohne Beachtung des jeweils spezifischen

nationalen Kontextes in die Berichte eingebunden und haben durch die Aufnahme in

die Berichterstattung im Krisenstab indirekt Handlungsdruck erzeugt. Es wurde immer

gerade über die Länder berichtet, in denen spektakuläre Spitzen zu beobachten

waren. Eine verallgemeinerbare Erkenntnis konnte daraus nicht gewonnen werden.

Entlastende Daten wurden nicht aufgenommen, obwohl auch sie öffentlich verfügbar

waren (z.B.: https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/#latest).

  1. Im Gegenteil: Trotz überhöhter Angaben über Coronatote wurde erkennbar, wie gering

die Gefahr gegenüber alltäglichen gesundheitliche Risiken (wie einer Influenzawelle)

tendenziell stets war (siehe die blaugedruckte Vergleichszahl in der untersten Zeile der

Tabelle.

  1. Die Zuschlagung von jeglichen Verstorbenen, die infiziert waren, zu den Zahlen für

Coronatote führte (und führt weiterhin) zu einer Verzerrung bei der Wahrnehmung des

Sterbegeschehens und verhindert unter anderem auch, dass die Folgen der

Kollateralschäden diesen auch zugeordnet werden können. Sie blieben somit

statistisch unsichtbar. – Beispiel: Eine Person, die keiner gefährdeten Gruppe

angehört, und die trotz Infektion nicht an Covid-19 erkrankte, stirbt, als ihre fest

eingeplante Herz-OP wegen Absage der Klinik nicht erfolgen kann an den

Herzproblemen; diese Person würde nicht als Opfer der Schutzmaßnahmen, sondern

als Opfer der Virusinfektion gezählt. Die Aussagen der Statistik stellen die wahren

Verhältnisse in diesem Fall auf den Kopf

Diese hochproblematische Zählweise und Zählverfahren zur Dokumentation von

Coronatoten, die vom RKI bereits Anfang März 2020 eingeräumt wurden, führen

bis heute zu einer Verfälschung und Manipulation der Daten, da sie die

Auswirkungen der Schutzmaßnahmen maskieren und geeignet sind zu

verhindern, die beiden zentralen Gefahren für unsere Gesellschaft (Gefahren

durch Krankheit, Gefahren durch Schutzmaßnahmen) im Vergleich bewerten zu

können. In dieser Verfälschung von elementaren Schlüsseldaten ist der

Grundstein zu falschen Entscheidungen zulasten der Bevölkerung gelegt.

Fazit: Die Berichterstattung in den Lageberichten des BMI war für die Einschätzung der

ganzheitlichen Gefahrenlage, mit der unser Land konfrontiert ist, nicht brauchbar, weil

sie sich ausschließlich mit gesundheitlichen Aspekten befassten. Ein Monitoring über

Kollateralschäden fand nicht statt. Selbst die gesundheitlichen Daten waren nicht

geeignet, um das Ausmaß der Gefahren für unserer Gesellschaft einzuschätzen, sie

waren nicht differenziert genug, insbesondere nicht in den Kontext des Gesamt200507

Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 44 von 83

Sterbegeschehens in unserem Land eingebettet. Die in den Berichten dokumentierten

Daten waren aber nicht nur unbrauchbar, sondern verhinderten oder erschwerten

durch einen Effekt, den ich beispielhaft in Punkt 7. erläutert habe (s.o.), eine

Bestandsaufnahme von weiteren entscheidungsrelevanten Daten, die zudem (noch)

nicht Gegenstand der Lageberichte sind. Abhängig von dem Ausmaß der Um-

Etikettierung steht die Vermutung im Raume, dass die Daten des

Entscheidungsprozesses des Krisenmanagements als manipuliert gelten müssen.

Ich selbst habe schriftlich mehrfach meine Vorgesetzten darauf hingewiesen und konkrete

Vorschläge dazu gemacht, welche aussagekräftigen Daten erhoben, bzw. von den Ressorts

eingefordert werden müssten (Anlage 5). Die Ausführungen enthalten auch umfassende

Erläuterungen zum Verständnis der Funktion der Daten für die Gefahrenbewertung und im

Krisenbewältigungsmechanismus, nicht nur im gesundheitlichen Bereich. Dem Krisenstab

lag ein Teil meiner Analysen und Anregungen/Vorschläge seit dem 23. März 2020 vor

(Anlage 6), eine „Politologische Analyse“ legte ich in erster Fassung am 27. März 2020 vor

(finalisierte offizielle KM 4 – Fassung vom 7. Mai 2020 in Anlage 8).

6.2 Auswertung des neuen Lagebildes des Krisenstabs von BMI und BMG

(ab 8. April 2020)

Ab dem 8. April 2020 wurde die Berichterstattung über die aktuellen Coronadaten in den BMILageberichten

beendet. Es wurde verwiesen auf den gesonderten Lagebericht des

Krisenstabs von BMI und BMG, der die Berichterstattung übernehmen sollte. Auch dieses

neue Format befasst sich mit den gesundheitlichen Aspekten. Ein Monitoring über

Kollateralschäden findet nicht statt.

Vorbemerkung

Daten werden gebraucht, um die Gefährlichkeit des Virus für die Bevölkerung in DEU zu

ermessen. Hier ist die Geeignetheit der Lageberichte für diesen Zweck untersucht.

Ob die Gefahr so groß ist, dass gesonderte Schutzmaßnahmen zu treffen sind, und wie

umfassend die Maßnahmen sein sollten, hängt davon ab, wie viele Personen, nach

professioneller und sehr sorgfältiger Prognose, voraussichtlich zusätzlich zu den

durchschnittlich zu erwartenden Todesfällen unserer Gesellschaft durch den neuen

Virus sterben werden.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 45 von 83

Da auch Schutzmaßnahmen Nachteile und Risiken bergen, einschließlich Todesfällen, ist der

Umfang von Maßnahmen durch Gegenüberstellung der Auswirkungen zu ermitteln

(Auswirkungen ohne und mit Schutzmaßnahmen).

Kritische Anmerkungen (auf der Basis des Berichts vom 9.4.20)

􀁸 Die Zahl der Fälle umfasst offenkundig Personen, bei denen der Virus nachgewiesen

wurde, nicht die der erkrankten Personen und nicht die der bereits immunisierten.

Durch eine folgenlose Infektion entsteht kein Schaden bei den Infizierten (ebenso bei

leichten bis mittelschweren Krankheitsverläufen sowie Immunisierten). Zur

Einschätzung der Gefahr wird primär die Zahl der an dem Virus so schwer Erkrankten

benötigt, dass sie dadurch sterben könnten, denn das ist Gegenstand der Gefahr, die

das Krisenmanagement des Staates von der Gesellschaft abzuwehren hat. Die Zahl

der symptomlos Infizierten wird gesondert benötigt – zur Einschätzung von

unterrangigen Teilgefahren (Infektionswahrscheinlichkeit). Zahlen eines aktuellen

Berichtswesens sind nur wenn sie in diese beiden großen Blöcke differenziert werden,

als handlungsrelevante Informationen von Bedeutung und können nur in dieser

Zusammenstellung und im Kontext mit anderen Indikatoren zur Maßnahmenplanung

verwertet werden.

􀁸 Es wird die tägliche Zunahme der Zahlen übermittelt. Es fehlt jedoch die Zahl von im

gleichen Zeitraum durchgeführten Tests, sowie der Anteil der Gründe für das Testen

(wegen coronaspezifischen Beschwerden oder Krankheitszeichen, anderen

Verdachtsmomenten, als Nebenbefund einer anderen Untersuchung, anlasslos, …).

Daraus hätten u.a. Erkenntnisse über den Grad der Durchseuchung gewonnen werden

können.

􀁸 Todesfälle sind inzwischen offenbar eingegrenzt auf an dem Virus erkrankte Personen

(2.107 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen“). Es dürfte jetzt

also keine Person mehr mitgezählt worden sein, die zwar den Virus trug, aber nicht an

ihm erkrankt war. Ist das wirklich so? Kann man sich darauf verlassen?

􀁸 Bei der Analyse der Fälle und der für die Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus

besonders wichtigen Todesfälle, wird zwar das Lebensalter statistisch ausgewertet,

nicht jedoch der Zustand der Person („86% der Todesfälle und 16% aller Fälle sind 70

Jahre oder älter“). Bei der Einschätzung der Gefährlichkeit ist von besonderer

Bedeutung, wie groß der Anteil derer ist, die auch ohne Virusinfektion kurz vor dem

Tod standen, bei denen der absehbar bevorstehende Tod mit keinem Mittel hätte

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 46 von 83

verhindert werden können. Dazu werden für den betrachteten Zeitraum die Zahlen

durchschnittlicher Sterbefälle benötigt (nach Todesursachen und ggf. Alter).

􀁸 Es wird von Häufungen in Pflegeheimen und Krankenhäusern gesprochen („Es häufen

sich Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen sowie

in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist die Zahl der Verstorbenen

vergleichsweise hoch.“). Damit war ein Hinweis auf eine extrem dominante Zielgruppe

/ Risikogruppe gegeben. Das hätte zwingend Anlass sein müssen, den

vorhergenannten Aspekt zu überprüfen und eine spezifische Schutzstrategie zu

entwickeln, sowie die allgemeinen Einschränkungen für die breite Bevölkerung zurück

zu nehmen, bzw. dies zu empfehlen.

􀁸 Zeitlicher Verlauf: Die Grafiken zum zeitlichen Verlauf: Es bleibt offen, ob die

unterschiedliche Erfassungsarten zu Mehrfachzählungen des gleichen Falles führen

können. Besser wäre eine Grafik gewesen, bei der (im Rückblick) die Fälle nach

Ausbruch der Krankheit dargestellt würden (also der für den Prozess relevante

Zeitpunkt) – gemacht wird in der Folgegrafik das Gegenteil, es wird gesondert nach

Meldungstagen aufgeschlüsselt. Deutlich wird aus der ersten Grafik, dass die

Fallzahlen bereits im Sinken waren, als die Maßnahmen beschlossen und umgesetzt

wurden (Ende März 2020).

􀁸 Demografische Verteilung: Hierbei wäre die Verteilung für die Todesfälle relevant (also

die Zahlen für die größte Gefahr, vor der der Staat schützen soll), nicht die der

Gesamtheit aller Infizierten (also auch aller dauerhaft symptomfreien). Dieser Teil des

Berichts ist zweckfrei.

􀁸 Klinische Aspekte: „Für 82.187 übermittelte Fälle liegen klinische Informationen vor.“

Analyseergebnisse dieser Stichprobe sind nicht auf die Gesamtzahl übertragbar, da

nicht angegeben wird, wie viel Prozent der Toten auf diesen 75-prozentigen Anteil der

Infizierten entfallen.

Im gleichen Abschnitt wird dann über die 2.107 Verstorbenen gesprochen, also geht es

nicht mehr um die zu Beginn des Abschnitts eingeführten Fälle, für die medizinische

Informationen vorlagen.

􀁸 Unter Klinischen Aspekten werden weitere demografische Aspekte behandelt: „Der

Altersmedian liegt bei 82 Jahren, die Spanne zwischen 26 und 105 Jahren. Von den

Todesfällen waren 1.819 (86%) Personen 70 Jahre und älter. Im Unterschied dazu

beträgt der Anteil der = 70-Jährigen an allen übermittelten COVID-19-Fällen nur 16%.

Es häufen sich in den letzten Tagen Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche in

Alters- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist

die Zahl der Verstorbenen vergleichsweise hoch.“ Da diese Haupt-

Zielgruppe/Risikogruppe offenbar die höchste Altersgruppe ist, auf die auch in

normalen Zeiten der größte Anteil von üblicherweise Versterbenden in DEU entfällt

(jährlich etwa 920.000 in DEU), hätten hier weitere Differenzierung angestellt werden

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 47 von 83

müssen, um für das Krisenmanagement verwertbare Daten zu gewinnen – also Daten,

die wirklich zweckgerichtete Maßnahmen ermöglichen (s.o.).

􀁸 Die Reproduktionszahl ist ein Abstraktum, das nicht ausreichend erklärt wird. Als

Krisenmanager kann ich nicht erst einem angegebenen Link folgen und mich in eine

wissenschaftliche Methodik einarbeiten, bevor ich meine Arbeit fortsetze. Ein

Krisenmanagement kann damit nicht viel anfangen. Diese Zahl in dem Bericht

aufzuführen, dient nicht der besseren Orientierung, sondern der Verwirrung des

Krisenmanagements. Das gilt insbesondere, da diese Zahlen ohnehin als unsicher

beschrieben werden und/oder auf Zahlen beruhen, die ebenfalls unsicher sind.

􀁸 Daten zu den Intensivbetten sind unzuverlässig, weil das Erfassungssystem umgestellt

wurde. Informativ wäre den Auslastungsgrad der verfügbaren Kapazitäten auf einen

Blick zu sehen.

􀁸 „Ergebnisse aus weiteren Surveillance-Systemen des RKI zu akuten respiratorischen

Erkrankungen“: Mit den aufwendigen Schutzmaßnahmen verbreiteten sich – wie zu

erwarten war – auch alle möglichen anderen Krankheiten. „Die kontaktreduzierenden

Maßnahmen, die in ganz Deutschland durchgeführt werden, haben scheinbar deutlich

zur Reduktion der Übertragung akuter Atemwegserkrankungen beigetragen.“ – Diese

Information ist unvollständig und muss in handlungsrelevante Aussagen umformuliert

werden, etwa so: „Durch die sozialen Isolations- und Distanzierungsmaßnahmen

wurden Erkrankungen nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben.“ Es fehlen Angaben

oder Prognosen für die Alternativstrategie der schnellen Durchseuchung. Diese

Informationen sind unvollständig und somit für die Entscheidungsfindung über

Maßnahmen irrelevant, solange Schlüsseldaten nicht vorliegen – z.B. zum

gegenwärtigen Durchseuchungsgrad und zur Abgrenzung der gezielten

Durchseuchungsstrategie.

􀁸 Anmerkung zur Durchseuchung: Den Durchseuchungsgrad repräsentativ zu erheben

dauert meiner Kenntnis nach zwischen 7 und 10 Tagen. RKI hat am 8. April

angekündigt, Studien dazu zu starten. Es ist außerdem völlig unerklärlich (und ein

schwerer technischer Fehler des Krisenmanagements), dass diese noch nicht

durchgeführt wurden, insbesondere nachdem diese Studien seit Wochen öffentlich

gefordert wurden.

􀁸 Bei den komplizierten und verwirrenden Ergebnisse aus den Surveillance-Systemen

des RKI ist nicht nachvollziehbar, was sie zu der Gefahreneinschätzung durch das

Krisenmanagement beitragen können.

􀁸 Risikobewertung durch das RKI: Diese Risikobewertung mag für eine ganz spezielle

Sicht von Wissenschaftlern und Fachstatistikern nachvollziehbar sein. Für die

Einschätzung der Gefahren, die von dem Virus für die Gesamtbevölkerung ausgehen,

ist diese Bewertung des RKI nicht verwertbar:

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 48 von 83

o „Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und

ernst zu nehmende Situation.“ Damit ist nicht viel gesagt. Woran macht sich

fest, dass die dynamische Situation ernst zu nehmen ist? Was genau bedeutet

„ernst nehmen“ in diesem Zusammenhang? Ob und wie ernst die Entwicklung

genommen werden muss, entscheiden die Krisen-Manager, nicht die

wissenschaftlichen Berater (denn die kennen offenbar die

Abgrenzungsindikatoren für die gesellschaftliche Risikoermittlung nicht).

o „Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche

Krankheitsverläufe kommen vor.“ Für den bundesweiten Bevölkerungsschutz

muss die zu erwartende Wirkung auf das gesamte Land betrachtet werden. Für

das IT-Sicherheitsgesetz wurde bei vielen Sektoren/Branchen eine Betroffenheit

von 500.000 Bürgern als relevante Größenordnung festgelegt. Dabei ging es

zwar nicht um Menschenleben und Lebenszeit von Menschen, aber es wird

deutlich, dass die Bewertung von Risiken, wie z.B. von tödlichen

Krankheitsverläufen, immer von deren Menge in Bezug auf die Gesamtzahl

abhängt.

o „Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.“ Diese Aussage alleine führt

zu keiner sinnvollen Erkenntnis für das Krisenmanagement (s.o.).

o „Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird

derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch.“ Aus

den vorgenannten Zahlen ist noch nicht ableitbar, dass „die“ Gesundheit einer

Bevölkerung von 80 Mio. Menschen hoch gefährdet ist – an der normalen

Grippe sind in den letzten Jahren teilweise mehr als zehn Mal so viele

Menschen gestorben, wie bisher dieses Jahr im Zusammenhang mit Corona

verstarben. Wichtiger ist jedoch: Ohne Kenntnis der Zahlen von explizit an

Corona verstorbenen und ohne Kenntnis des Durchseuchungsgrads der

Bevölkerung können gar keine Aussagen zur Gefährdung der Bevölkerung

gemacht werden!

o Wie auch immer man einen Wirkungsvergleich zwischen Corona und Influenza

im Einzelnen beschreiben möchte, angesichts der folgenden Vergleichszahlen

bedarf es einer wirklich überzeugenden zusätzlichen Erklärung und

Legitimierung für die im Zusammenhang mit Corona ergriffenen schweren

Schutzmaßnahmen:

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 49 von 83

Todesfälle

durch

Influenza

in 2017/18

Zusätzlich

ergriffene

Schutzmaßnahmen

Todesfälle

durch

Corona

in 2020

Zusätzlich

ergriffene

Schutzmaßnahmen

in DEU 25.000 keine ca. 5.500 umfassende

Maßnahmen;

zu einer schweren

Wirtschafts- und

Gesellschaftskrise

führend

weltweit 1.500.000

(1,5 Mio.)

keine ca. 200.000 differenzierte

Maßnahmen;

unterschiedlich

ausgeprägt

o „Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit

zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung

variiert von Region zu Region.“ Das ist kein Alleinstellungsmerkmal für Corona,

sondern trivial, so isoliert betrachtet ohne weiteren Erkenntnisgewinn.

o „Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen

Ausbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten

Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab und

kann örtlich sehr hoch sein.“ Das sind relative Aussagen und Trivialitäten, die

für die Bewertung von Gefahren keine konkret messbaren oder überprüfbaren

Anhaltpunkte bieten.

o „Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“ Die

Einschätzung des RKI ist für langfristig wirksame Maßnahmen offenbar

grundsätzlich nicht verwertbar.

Ergänzung: Auch am 7. Mai 2020 enthielt der Lagebericht des Krisenstabs BMI-BMG immer

noch keine Dokumentation der Kollateralschäden!

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 50 von 83

Zusammenfassendes Fazit:

Die Bewertungen der zuvor unter 6.1. untersuchten BMI-Lageberichte (Fazit) treffen

auch für den hier zu beurteilenden Lagebericht des Krisenstabs zu.

Die vom RKI gelieferten Daten sind als Grundlage für die Entscheidungsfindung nicht

zu gebrauchen. Die Bewertungen des RKI sind durch die vorgelegten Daten nicht

gedeckt. Die Bewertungen sind vielfach spekulativ, teilweise unplausibel. Leider

besteht der Lagebericht des Krisenstabs alleine aus einer Aufbereitung dieser Daten.

Es ist erforderlich, spezifische Daten von BMG einzufordern oder durch BMI selbst zu

beschaffen, um die Gefahren des Coronavirus auf unsere Gesellschaft endlich in

angemessener Genauigkeit einschätzen zu können und die Maßnahmen an dieser

Einschätzung auszurichten.

Die einseitige Heranziehung von Daten und Einschätzungen das RKI für den

Entscheidungsprozess des Krisenmanagements ist angesichts der Vielfalt von

verfügbaren Instituten, Einrichtungen und Experten nicht akzeptabel. Wegen der

weitreichenden Auswirkungen der eingeleiteten Schutzmaßnahmen wird von der zu

Grunde gelegten Datenbasis und deren Interpretation das künftige Schicksal unserer

Gesellschaft abhängen. Es ist aus Bevölkerungsschutzperspektive zwingend

erforderlich, verschiedene auch untereinander im Wettbewerb stehende Quellen zu

erschließen.

Eine ausführliche Erläuterung des Datenbedarfs für den Entscheidungsprozess findet sich,

wie bereits erwähnt, in Anlage 5.

6.3 Ergänzende Auswertung einer neueren Ausgabe des Lageberichts des

gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG – Konkret untersuchte Fassung vom 22.

April 2020

Der Lagebericht sollte eine wichtige Entscheidungsgrundlage für das Krisenmanagement

sein. Tatsächlich kann er nicht viel beitragen. Der Bericht wurde mit der Zeit immer

ausführlicher. Am 8. April startete er noch mit 8 Seiten, nunmehr sind es 16. Der Gehalt an

entscheidungsrelevanten Informationen ist genauso gering wie zu Beginn.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 51 von 83

Daten in dieser aktuellen Grafik werden nicht in einen Zusammenhang gebracht, der eine

Bewertung und einen Vergleich von Gefahren und Risiken zuließe.

(Quelle: aus dem untersuchten Lagebericht, Seite 2)

Zum Vergleich wird hier beispielhaft die Entwicklungskurve von Influenzafällen in der

Grippesaison 2017/18 (nach RKI) betrachtet. Der Anstieg der Kurve steigt steiler an als bei

Covid-19 (trotz geringerer Übertragbarkeit), und sinkt noch deutlich steiler wieder ab.

(Quelle: RKI)

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 52 von 83

Es steht zu befürchten, dass die in DEU getroffenen Schutzmaßnahmen dadurch, dass sie

eine Durchseuchung verhindern (verlangsamen), zugleich ein schnelles Erreichen des Endes

der (gesundheitlichen) Krise – und natürlich ein Abbremsen aller Kollateralschäden –

verhindern. Überprüfen ließe sich das mit einer korrekten Gefahrenanalyse und –bewertung,

z.B. nach der in dieser Ausarbeitung beschriebenen Methode.

Eine über Seiten reichende detaillierte Analyse von Intensivkapazitäten und

Krankenhausbetten wird gar nicht benötig. Es reicht deutlich zu machen, dass die

Kapazitäten bei weitem nicht ausgelastet sind und wie groß die Reserven sind. Außerdem

müsste ebenso akribisch erfasst werden, wie viele OPs wegen der einschränkenden

Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten (gegenüber Durchschnittswerten und konkret

abgesagten Terminen) und welche Schäden (einschl. Todesfälle) dadurch bisher entstanden

sind.

Die Daten und Erläuterungen zu Testkapazitäten enthalten teilweise irrelevante

Informationen (Anzahl der meldenden Labore), unvollständige Angaben (Unterscheidung in

anlasslose Test und Verdachtfälle, ggf. postmortem), vor allem aber wird nicht deutlich, was

damit ausgesagt werden soll. Die entscheidende Zahl fehlt immer noch: der ungefähre

Durchseuchungsgrad der Gesellschaft in DEU. Dazu wird noch nicht einmal eine Vermutung

angestellt.

Die Testkapazitäten sind inzwischen insgesamt hoch. Wenn der Preis pro Test immer noch

bei 200 Euro liegen würde, hätten die Tests bis heute 6 Mrd. Euro gekostet. Es fehlt eine

Angabe über die Gesamtzahl der Tests und der Kosten, weil das ein relevanter Faktor für die

Testoptionen darstellt. Auch unter Wirtschaftlichkeitsaspekten sollte das Testen untersucht

werden: Brauchen wir die vielen Tests eigentlich überhaupt noch? Welchen Nutzen genau

erzielen wir aus derartig vielen Testungen und Daten? Welche Relevanz haben die Testdaten

für die Entscheidungen des Krisenmanagements. Könnten die Informationen anders (billiger)

gewonnen werden? Wer verdient alles daran? Außerdem fehlen Angaben zur Genauigkeit

der Tests.

Es entsteht teilweise der Eindruck von „Gestaltung“ von Informationen. Das begrenzt die

Verwertbarkeit des Lageberichts zusätzlich.

􀁸 Seite 12 (tendenziös) im Kontext mit extremistischen Gruppen: „Der Bundesregierung

wird eine gezielte Desinformationskampagne über die Pandemie vorgeworfen.“

Die von der Bundesregierung zur Begründung ihrer Maßnahmen vorgetragenen

Informationen waren für eine Bewertung der Gefahrenlage unbrauchbar, wie meine

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 53 von 83

ausführliche Analyse zeigt. Das dies von Außenstehenden als

Desinformationskampagne interpretiert wird, ist eine adäquate (nachvollziehbare)

Wahrnehmung. Wenn die Information hier im Kontext mit extremistischen Gruppen

gegeben wird, werden berechtigte Vorbehalte, die es in der Gesellschaft gibt, mit

Extremismus gleichgesetzt. Dies führt zu einer Verharmlosung des Extremismus. Und

zu einer Diskriminierung von Teilen der Bevölkerung, die ihren Verstand gebrauchen.

􀁸 Seite 12: „Eine Zunahme der Gewalt in Familien und Beziehungen lässt sich in

Hellfelddaten derzeit nicht erkennen. Die Telefon- und Online-Beratung des

Bundesfamilienministeriums verzeichnete für den März jedoch zweistellige Zuwächse

im Vergleich zu den Vormonaten.“

Es ist unbedingt von einer starken Zunahme der Gewalt in Familien und Beziehungen

auszugehen. Dass es keine Erkenntnisse aus dem Hellfeld gibt, ist kein Indiz dafür,

dass es nicht so wäre. Hier wird durch selektive Darstellung und Rückgriff auf

unbrauchbare Daten der Eindruck erweckt, es gäbe keine nennenswerten Probleme

mit häuslicher Gewalt und indirekt: die getroffenen Maßnahmen sind halb so schlimm.

Die Auslastung von Plätzen in Frauenhäusern ist bekannt, das wäre ein besseres

Indiz.

Seite 14: Andere relevante wie wirtschaftspolitische Eckdaten finden sich in dem Lagebild nur

für andere Staaten und die EU, nicht aber für DEU. Das ist angesichts der auflaufenden

hohen Kollateralschäden unverständlich. Es beweist leider erneut, dass das

Krisenmanagement auch am 22. April 2020 einen Abgleich von Gefahren nach wie vor nicht

vornehmen kann und nicht vornimmt.

Aufwand für BW wird auf Seiten 15 und 16 grafisch aufwendig aufbereitet dargestellt. Dies ist

eher eine Schau der eingesetzten Kapazitäten, als nützliche Information für die

Entscheidungsfindung.

Insgesamt ist erschreckend, dass nach den vielen bereits vergangenen Wochen der

Krise, und einer breiten öffentlichen Diskussion immer noch keine Lagebeschreibung

verfügbar ist, die Anhaltspunkte zur Einschätzung der bestehenden Gefahren bietet.

6.4 Auswertung der Rahmenvorgaben zum Krisenmanagement

Maßstab für die Arbeit eines Krisenmanagements ist der Normalzustand.

„Unter dem Begriff Krisenmanagement wird die Schaffung von organisatorischen und

verfahrensmäßigen Voraussetzungen verstanden, die eine schnellstmögliche Zurückführung der

eingetretenen außergewöhnlichen Situation in den Normalzustand unterstützen.“ („Information der

Mitarbeiter/innen des BMI über Strukturen und Verfahren des Krisenmanagements“ aus 2014, Seite 3)

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 54 von 83

Das muss folglich auch für das Sterbegeschehen gelten. Es müssten Daten für den

Normalzustand herangezogen werden, und es müsste ein Abgleich mit den aktuellen ist-

Zahlen vorgenommen werden. Für das rechnerische Delta müsste erfasst werden, welcher

Anteil auf den Krankheitserreger entfällt, und welcher auf die Kollateralschäden.

„Der Krisenstab des BMI ist das zentrale Krisenreaktionsinstrument, dessen Struktur auch die

Grundlage für die Gemeinsamen Krisenstäbe des BMI mit dem BMUB sowie des BMI mit dem BMG

bildet.“ (ebd., Seite 6)

Im Konzert der Krisenbewältigungsinstrumente ist der gemeinsame Krisenstab von BMI und

BMG das handlungsauslösende Element. Die Leitung des Krisenstabs wird durch einen

Staatssekretär oder Minister wahrgenommen wird:

„Den Kern [des Krisenstabs] bilden die Mitglieder des Krisenstabes (AL Z, AL KM, AL B, IT-Direktor,

Pressesprecher und Leiter Lagezentrum) unter Leitung eines Staatssekretärs bzw. von Herrn Minister.

Der Leiter des Krisenstabes wird durch persönliche Assistenzdienste in einem Geschäftszimmer

unterstützt. Ständiger Vertreter ist der Leiter der Abteilung ÖS in polizeilichen Lagen bzw. der Leiter der

Abteilung KM in nichtpolizeilichen Lagen.“ (ebd., Seite 6)

Da es sich bei der Coronakrise um eine primär nicht-polizeiliche Lage handelt, ist der AL der

Abteilung KM der vorgesehene Vizevorsitzende des Krisenstabs.

„In diesem Sinne haben sich BMI und BMUB im Falle von gravierenden Gefahren– und Schadenslagen

durch Straftaten mit radioaktiven Stoffen sowie BMI und BMG im Falle einer Pandemie und des

Bioterrorismus auf die Bildung gemeinsamer Krisenstäbe nach dem Modell des Krisenstabes BMI

verständigt. Durch die Bildung gemeinsamer Krisenstäbe werden ressortspezifische Interessen

gebündelt und ein einheitlicher ressortgemeinsamer Krisenbewältigungsansatz gewählt, der die

Möglichkeiten einräumt, alle vorhandenen Handlungsoptionen ergänzend auszunutzen. Sie bilden die

Ausnahme zu dem sonst gültigen Ressortprinzip.“ (ebd., Seite 6)

In der Coronalage ist davon abgewichen worden. Vizevorsitzender ist AL ÖS. AL KM wird

(laut Organigramm des Krisenstabs vom 23.3.2020) lediglich „bei Bedarf“ hinzugezogen. Es

muss hier offen bleiben, ob das geschehen ist, weil der Krisenstab Bioterrorismus als

Pandemiehintergrund vermutet (in dem Falle wäre AL ÖS regulär Vizevorsitzender des

Krisenstabs, s.o.).

Im Falle der Pandemie mussten (wegen des sehr starken Risikos von Kollateralschäden)

zusätzlich die Ressorts Wirtschaft, Finanzen und Soziales eingebunden werden. Das ist

geschehen.

Aufgrund der Grundsatzzuständigkeit für KRITIS wäre hilfreich, wenn BMI die Einbindung der

Ressorts hinsichtlich möglicher KRITIS-Kollateralschäden koordinieren würde (KM, ggf. mit

CI). Das bietet sich an, da in einer Pandemie Kritische Infrastrukturen in allen Sektoren

gleichermaßen betroffen sind und ansonsten keine Gesamtlage ermittelt wird (sektorale

Ressortzuständigkeit). Bei einer Neufassung der Rahmenvorgaben für die Krisenreaktion auf

eine Pandemie, sollte für diesen Funktionsbedarf eine Lösung gefunden werden.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 55 von 83

„Er [der gemeinsame Krisenstab BMI-BMG] ist das zentrale Krisenreaktionsinstrument des BMI und des

BMG und soll ein bundeseinheitlich koordiniertes Vorgehens im Gesundheitsschutz in Abstimmung mit

den Krisenstäben der Länder sicherstellen.“ (ebd., Seite 9)

Dass der Krisenstab in einer Pandemie ausschließlich die Aufgabe hat, den

Gesundheitsschutz sicher zu stellen, erscheint als Mangel in den Rahmenvorgaben zur

Krisenbewältigung einer Pandemie.

„Der Gemeinsame Krisenstab wird regelmäßig gemeinsam durch den/die Sicherheitsstaatssekretär/in

des BMI und den/die Staatssekretär/in des BMG geleitet, sofern nicht der Minister/die Ministerin oder

ein(e) andere(r) Staatssekretär/in die Leitung übernimmt oder einem zuständigen Fachabteilungsleiter

die Leitung übertragen wird. Ständiger Vertreter des/der Sicherheitsstaatssekretärs/in des BMI ist der

Leiter der Abteilung KM im BMI, im Falle bioterroristischer Gefahren- und Schadenslagen der Leiter der

Abteilung ÖS im BMI.“ (ebd., Seite 9)

„Das BMG wird auf Ebene der Abteilungsleiter (Mitglied des Gemeinsamen Krisenstabes) durch den/die

Abteilungsleiter/in 3 sowie einen eigenen Stabsbereich Gesundheitsgefahren im Gemeinsamen

Krisenstab vertreten.“ (ebd., Seite 9)

Das BMG ist lediglich auf AL Ebene im Krisenstab vertreten. BMI ist in der komfortablen

Position, den stärkeren Einfluss auf das Krisenmanagement ausüben zu können. Im Falle

einer Pandemie ist das hilfreiche – allerdings nur, wenn eine angemessene Gefahrenanalyse

und -bewertung durchgeführt wird. Das ist in der Coronakrise bis Anfang Mai 2020 nicht der

Fall. Eine eigene Gefahrenanalyse und -bewertung der Gesamtlage durch das BMI gibt es in

der Coronakrise nicht. Für die Lageberichte des gemeinsamen Krisenstabs mit BMG wurden

zu Beginn ausschließlich Datenaufbereitungen und -bewertungen aus dem Geschäftsbereich

des BMG herangezogen, später wurden diese durch einzelne Klein-Beiträge des BMI mit

sicherheitspolitischem Bezug und beliebig erscheinenden internationalen Meldungen ergänzt.

Die Risikoeinschätzung wurde in dieser Krise in jedem Moment alleine von der

Gesundheitspolitik bestimmt. Das muss als weiterer Mangel angesehen werden.

Zusammenarbeit mit den Ländern in einer Pandemie

Das gemeinsame Kriseninstrument von Bund und Ländern ist die sogenannte IntMinKoGr,

die „Interministerielle Koordinierungsgruppe des Bundes und der Länder“:

„Die IntMinKoGr ist das gemeinsame Koordinationsgremium des Bundes und der Länder bei Gefahrenund

Schadenslagen, die im Rahmen der üblichen Amtshilfe voraussichtlich nicht bewältigt werden

können. Dazu zählen im Wesentlichen lang anhaltende und großflächige Schadens- und Gefahrenlagen

(z.B. Unfälle in Kernkraftwerken im In- und Ausland, Pandemien, Naturkatastrophen erheblichen

Ausmaßes), von denen mehrere Bundesländer betroffen sind und ein hoher Beratungs- und

Abstimmungsbedarf besteht. Die IntMinKoGr hat die Aufgabe die betroffenen Länder zu beraten und zu

unterstützen sowie die Entscheidungsfindung der Bundesressorts zu koordinieren.“ (ebd., Seite 10)

Die IntMinKoGr hat die Aufgaben, „auf eine bundesressort– und länderübergreifende

Vorgehensweise hinzuwirken“ und „auf Grund von Fachexpertisen die im Krisenmanagement

Handelnden zu beraten“.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 56 von 83

In der Coronakrise erfolgte die Beratung der Länder auf Basis der Risikoanalyse des

gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG (niedergelegt in den Lageberichten). Da die

Risikoanalyse einseitig auf gesundheitspolitische Aspekte fokussiert war und eine

eigenständige ganzheitliche Gefahrenanalyse und -bewertung gar nicht stattgefunden hat,

konnte auch die Beratung der Länder nur defizitär sein. Auf dieser Basis wurden jedoch

weitreichende Entscheidungen getroffen.

Das u.a. für die Entwicklung von Methoden zur Risikoanalyse zuständige BBK, nimmt

(unterstützt durch das BMI-Lagezentrum) in der Krise die Aufgabe einer Geschäftsstelle der

IntMinKoGr wahr:

„Die Aufgaben der GSt IntMinKoGr werden vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und

Katastrophenhilfe (BBK) unter Einbeziehung der Ressourcen des Gemeinsamen Melde- und

Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ) wahrgenommen. Das BBK stellt das Personal für die GSt

IntMinKoGr. Das Lagezentrum des BMI unterstützt die Arbeit und die Sicherstellung des Betriebes der

GSt IntMinKoGr am Dienstsitz des BMI in Berlin.“ (ebd., Seite 11)

Das in Fragen der Risikoeinschätzung auch in Pandemielagen besonders qualifizierte und

erfahrene BBK eng in das Krisenmanagement einzubinden ist ein richtiges Element.

Die Rolle der Kanzlerin

Im Falle einer besonders schweren Krise übernimmt die Bundeskanzlerin die Koordination

und Führung.

„Für das Krisenmanagement auf Bundesebene ist in Abhängigkeit von der konkreten Gefahren– oder

Schadenslage das jeweils fachlich überwiegend zuständige Ressort federführend. Die Bundeskanzlerin

kann jedoch die Zuständigkeit für die Koordination / Führung, vor dem Hintergrund der besonderen

Bedeutung einer eingetretenen Lage, übernehmen.“ (ebd., Seite 14)

Es bleibt unklar, was diese „Führungsrolle“ bedeutet. Es könnte z.B. bedeuten, dass die

Bundeskanzlerin die vom Krisenstab vorbereiteten Entscheidungen nach außen vermittelt

(wie eine Sprecherfunktion, in Kombination mit einer Art massenpsychologischer Betreuung

der Bevölkerung). Es könnte aber auch bedeuten, dass die Bundeskanzlerin völlig frei nach

Lust und Laune, oder auch nach eigenen festen Kriterien entscheidet. unterschreibt Es gab

Besprechung im Kanzleramt. In allen Ergebnisprotokollen, die ich gesehen habe, wurden die

gleichen Lageberichte und Daten zugrunde gelegt, wie im gemeinsamen Krisenstab von BMI

und BMG. Auf der politischen Ebene hat sich der Fehler der unterbliebenen umfassenden

und systematischen Gefahrenanalyse und –bewertung unmittelbar ausgewirkt und aller

Wahrscheinlichkeit nach zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen geführt.

„In den Ressorts, die zu einer Bewältigung einer Gefahren- oder Schadenslage beitragen können,

wurden Vorkehrungen (z.B. organisatorisch-technische Vorbereitungen, Erreichbarkeitsregelungen)

getroffen, um kurzfristig spezifische Krisenstäbe aufrufen zu können. Der Krisenstab des federführenden

Ressorts übernimmt die Koordinierung im Bund sowie die Abstimmung mit den von der Gefahren- oder

Schadenslage betroffenen Ländern.“ (ebd., Seite 15)

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 57 von 83

Die „lagebezogene Koordination der Ressorts der Bundesregierung und die Abstimmung mit

den betroffenen Ländern“ obliegt dem den Krisenstab der federführenden Ressorts. Das

bedeutet, dass die Lageberichte des Krisenstabs die Grundlage für alle Interventionen sein

müssten:

„Durch das in den letzten Jahren geschaffene System des Krisenmanagements auf Bundesebene wird

sichergestellt, dass die lagebezogene Koordination der Ressorts der Bundesregierung und die

Abstimmung mit den betroffenen Ländern durch den Krisenstab des federführenden Bundesressorts

gewährleistet werden. Damit ist eine vormals der Interministeriellen Koordinierungsgruppe zugeordnete

Aufgabe in das bestehende System des Krisenmanagements übergegangen.“ (ebd., Seite 16)

Hausanordnung Gruppe 4 Blatt 1 „Krisenstab und Koordinierungsstab“

Nachrichten und Informationen, die für die Beurteilung von besonderen Lagen bedeutsam

sind, werden von den KoSts der Stabsbereiche dem Lagezentrum im Krisenstab zur Kenntnis

geben.

„Das Lagezentrum im Krisenstab steuert die Informationen an die KoSt der Stabsbereiche, die wiederum

die aufgabenbezogene Weiterleitung an die Leitung des Stabsbereiches und die jeweils betroffenen

Organisationseinheiten sicherstellen. Zugleich gewährleisten die KoSt, dass die für die Beurteilung

von besonderen Lagen bedeutsamen Nachrichten und Informationen, die Erfüllung von Aufträgen

sowie personelle Veränderungen in der Besetzung der Stabsbereiche des Krisenstabes unverzüglich

dem Lagezentrum im Krisenstab zur Kenntnis gelangen.“ (Seite 3)

Die Koordinierungsstellen sind dafür zuständig, dass dem Krisenstab alle für die Beurteilung

von besonderen Lagen bedeutsamen Informationen zur Verfügung gestellt werden. Das ist

nicht geschehen.

Auf die von KM 4 dem Stabsbereich zugeleiteten Informationen (Analysen und Berichte)

erfolgte keine Reaktion.

6.5 Zwischenbilanz der Bundesregierung

Am 7. Mai 2020 erschien eine “Zwischenbilanz der Bundesregierung”

(https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/gegen-corona-pandemie-1747714)

Das Dokument ist übertitelt: “Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der COVID-

19-Pandemie und zur Bewältigung ihrer Folgen”. In dem Papier wird vorausgesetzt, dass eine

Gefahr durch Covid-19 besteht, beschrieben wird die Gefahr nicht. Sie wird nicht einmal

genannt. Sie ist quasi schon da, bevor das Papier einsetzt. In dem 22-seitigen Bericht gibt es

an keiner Stelle eine Beschreibung der Gefahren und auch keinerlei Dokumentation einer

systematischen Abwägung von Maßnahmen mit ihren Nebenwirkungen.

Zu Beginn heißt es: Die COVID-19-Pandemie hat weltweit für alle Länder außerordentliche

Belastungen zur Folge. Auch in Deutschland sind Wirtschaft, Sozialstaat, Gesundheitssystem

und Gesellschaft massiv unter Druck geraten. Als weltweit vernetztes Land, aber auch als

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 58 von 83

wichtiger Mitgliedstaat der EU steht Deutschland damit vor der größten Herausforderung seit

dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Auf den Seiten 7 und 8 wird in zwei eingeschobenen Textkästen die „Entwicklung wichtiger

Kennziffern und Quellen (Stand: 22. April)“ dargestellt. Auch hier werden keine Gefahren

beschrieben, sondern es werden einige der bekannten Datenkategorien genannt, die ohne

Interpretation oder Erläuterung des Kontextes eine Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus

eben gerade nicht ermöglich, z.B. die Zahl gemeldeter Neuinfektionen, der Anstieg von

Testkapazitäten, die verfügbaren Intensivbetten und die Versorgung mit Schutzausrüstung.

Die eigentlichen Schäden (Tote) kommen nicht vor.

6.6 Könnte es eine Gefahrenanalyse und bewertung außerhalb des

Lageberichts des Krisenstabs gegeben haben (oder noch geben)?

Die Sorgfaltspflicht gebietet es, in Erwägung zu ziehen, dass möglicherweise außerhalb der

Lagebilder eine Gefahrenanalyse und –bewertung – wie von mir gefordert – durchgeführt

wurde. Mir ist zwar kein vergleichbares Dokument begegnet oder eine diesbezügliche

Aktivität bekannt geworden, dass muss aber nicht bedeutet, dass es eine solche nicht gibt.

Denn Referat KM4 ist möglicherweise in derartige Aktivitäten nicht einbezogen worden.

Dagegen spricht allerdings:

􀁸 Laut den Hausanordnungen des BMI, die alle Arbeitsabläufe und alle sonstigen

Vorgaben der Krisenbewältigungsmechanismen definieren, ist der Krisenstab dafür

zuständig, alle Entscheidungen zu treffen oder zumindest vorzubereiten.

􀁸 Es mag im Bundeskanzleramt, im BMI oder auch in andern Häusern gesonderte

formelle und informelle Besprechungsrunden geben (z.B. Corona-Kabinett), die auch

eine Art von Lageberichten produzieren. Diese hätten jedoch auch im Krisenstab

zusammengeführt und konsolidiert werden müssen. Ohne die üblichen

Abstimmungsverfahren zwischen den Ressorts (und ggf. mit den Ländern) ist das

jedoch nicht denkbar.

􀁸 Wenn umfassende Aufstellungen und Berichte, die „sorgfältige Abwägungen“ enthalten

sollten (wie von BK und den MP der Länder in ihrem veröffentlichten Beschluss vom

  1. April 2020 behauptet wird1) existierten, hätten sie in den Sitzungen des

Krisenstabs behandelt werden müssen oder diesem zumindest zur Kenntnis gegeben

werden müssen. Die Regierungen (Bund+Länder) haben sich an keiner (hier

bekannten) Stelle auf andere Grundlagen für Ihre Entscheidungen berufen, als die

1 „Bund und Länder wägen bei allen Entscheidungen deren Wirkung in gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher

Hinsicht sorgfältig gegeneinander ab.“ (Protokoll der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den

Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 30. April 2020, Seite 1)

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 59 von 83

Lageberichte des Krisenstabs und die des RKI (die regelmäßig Bestandteil der

Krisenstabslageberichte sind).

􀁸 Eine Durchsicht der „Ergebnisprotokolle der 15., 16. und 17. KriSta-Sitzung BMG-BMI“,

die mit etwas zeitlichem Verzug am heutigen 7. Mai 2020 um 17:59 Uhr innerhalb des

Krisenstabs verteilt wurden, ergibt, dass weder sorgfältige noch sonst irgendwelche

Abwägungen mit Kollateralschäden vorgenommen wurden. In der 14. Sitzung wurde

jedoch einmal über das Lagebild gesprochen (s.u.). Aus dieser Befassung kann

geschlossen werden, dass auch die Bundeskanzlerin auf die bekannten Lagebilder

zurückgreift.

Beispielhafte Auswertung der Sitzungen 15, 16 und 17 (nach Aktenlage), sowie des

Protokolls der 14. Sitzung:

An den Sitzungen des Krisenstabs nahmen zwischen 29 und 38 Personen teil. Die meisten

kamen aus dem BMI und dem BMG. Die übrigen aus BMWi, BMF, BMVI, BMVg, AA, BMAS,

und dem RKI sowie dem BK. Bei der Beteiligung der Ressorts fällt auf, dass RKI und BMF

gleichermaßen (aber nicht an den gleichen Tagen) zu einer Sitzung nur einen Vertreter

schickten, zu einer anderen Sitzung zwei, und in einer Sitzung gar nicht vertreten waren. Das

überrascht insbesondere bei dem Finanzressort, welches die finanziellen Mittel für alle

Aktivitäten bereitstellen muss. Der Krisenstab tagte zweimal pro Woche für jeweils zwei

Stunden.

􀁸 28.4.20 (17. Sitzung, 2 h) 38 TN: 16 BMI, 11 BMG, 2 BK, 2 BMWi, 2 BMVI, 2 BMVg, 2 AA, 1 BMAS, 1

BMF, 0 RKI

􀁸 23.4.20 (16. Sitzung, 2 h), 34 TN: 15 BMI, 6 BMG, 1 BK, 2 BMWi, 1 BMVI, 2 BMVg, 2 AA, 1 BMAS, 2

BMF, 2 RKI

􀁸 21.4.20 (15. Sitzung, 2 h), 29 TN: 13 BMI, 6 BMG, 2 BK, 2 BMWi, 1 BMVI, 2 BMVg, 1 AA, 1 BMAS, 1

RKI

Aus den Sitzungen des Krisenstabs:

􀁸 In der 14. Sitzung wurde zum Thema „Lagebild“ im Sitzungsprotokoll festgehalten,

o dass die Bundeskanzlerin das Lagebild als sehr hilfreich erachtete und es

gerne noch um Beschaffungen erweitert sehen würde – insbesondere im

Hinblick auf Schutzmasken.

o BMI und BMG kündigten an, der Bitte nachzukommen, erklärten jedoch, dass

eine tagesaktuelle Bereitstellung der Beschaffungsdaten schwierig sei und

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 60 von 83

wöchentliche Aktualisierung in den Lageberichten dafür ausreichten. BMWi

wolle künftig Beiträge zur Produktion der Schutzausrüstung erstellen.

􀁸 In der 15. Sitzung kündigte RKI Ergebnisse einiger Studien für Ende Mai und Ende

Juni an.

􀁸 In keiner Sitzung wurde über die Gesamtkosten der Schutzmaßnahmen oder den

Neuverschuldungsbedarf diskutiert und auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft

und die Entwicklung am Arbeitsmarkt wurden nicht behandelt. Auch die

gesundheitlichen Kollateralschäden (einschl. Todesfälle) waren kein Thema.

􀁸 In zwei Sitzungen (15., 17.) wurde über die Lage in einer (einzigen) Kritischen

Infrastruktur gesprochen (Telekommunikationsunternehmen). Der Status von

KRITIS in DEU insgesamt stand bei keiner der untersuchten Sitzungen auf der

Agenda.

􀁸 Mit einem Papier vom 28.4. informiert das RKI in der 17. Sitzung im Zusammenhang

mit Aktivitäten der EU darüber, dass die Reproduktionszahl R geringe Rückschlüsse

auf wesentliche Indikatoren böte.

Dieser eigentlich katastrophale Befund deckt sich nicht ganz mit dem, was die Regierungen

der Öffentlichkeit vermittelt:

Die politische Führung von Bund und Ländern reklamiert für sich, dass bei allen

Entscheidungen, deren Wirkung „in gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht“

sorgfältig gegeneinander abgewogen würden. Die „ständig zunehmenden wissenschaftlichen

Erkenntnisse über dieses neuartige Virus“ und viele interdisziplinäre Expertenmeinungen

sollen dabei in die Entscheidungsfindung eingeflossen sein.

Ein Blick in die vielfältigen Beiträge aus allen tangierten Wissenschaftsbereichen, die in den

letzten Wochen im Internet zu lesen waren, sowie ein Abgleich mit den in den Lageberichten

zusammen getragenen Inhalten offenbart, dass dies nicht umgesetzt worden sein kann. Bei

der Erhebung von medizinisch-gesundheitlichen Lagedaten wurde auf ein sehr enges Set an

Indikatoren zurückgegriffen (s. andere Kapitel dieses Berichts), während die in DEU reich

vorhandene Expertise in vielen anderen unmittelbar betroffenen Disziplinen brachliegen

gelassen wurde.

„Die Verantwortung für die Entscheidungen liegt bei Bund und Ländern, für die angesichts des

Umstandes, dass es sich um eine Situation ohne Beispiel mit vielen noch schwer abschätzbaren Risiken

handelt, ein vorsichtiges Vorgehen in regelmäßigen Schritten und ein besonders strenger Maßstab für

vorübergehend notwendige Grundrechtseinschränkungen das leitende Prinzip für verantwortbares

Handeln ist.“ (Protokoll der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen

und Regierungschefs der Länder am 30. April 2020, Seite 2)

Der strenge Maßstab, den die Regierung angelegt haben will, ist nicht zu erkennen.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 61 von 83

In dieser Darstellung wird ein Grundproblem des Krisenmanagements in der Coronakrise

deutlich: die wesentlichen Entscheidungen werden von der Politik getroffen. Und die Politik

hat in dieser Krise stark gestaltet.

Zusammenhang Gefahrenbewertung + Entscheidungsfindung

Beispiel: In anderen Gefahrensituationen, wie z.B. bei einem Feuerwehreinsatz an einem

brennenden Wohnhaus, werden die Entscheidungen von qualifizierten Rettungskräften

getroffen, nicht vom (politische gewählten) Bürgermeister. Der Brandmeister der Feuerwehr

entscheidet, ob die einzige verfügbare Leiter genutzt wird, um zuerst eine aus einem Fenster

auf der eine Gebäudeseite um Hilfe rufende schwangere Frau zu retten, oder ein aus dem

anderen Gebäudeteil winkendes Kind, das von dichten Rauchschwaden eingehüllt ist. Diese

Entscheidung trifft der Brandmeister (und nicht der Bürgermeister) auch dann, wenn der

Bürgermeister direkt danebensteht, und selbst dann noch, wenn es um das Haus des

Bürgermeisters geht, in dem seine Frau und sein Kind in die Notlage geraten sind.

Es stellt sich die Frage, wie effektiv und praktikabel es sein kann, wenn in einer Pandemie die

Politik entscheidet und inflationär agiert, wenn, wie in der Coronakrise, einige wenige

Regierungsmitglieder, die nicht für die Bewältigung derartiger Gefahrenlagen ausgebildet

wurden, und die über die dafür erforderliche Fachkompetenz in der Regel nicht verfügen

können, das Schicksal des Landes bestimmen sollen.

Es ergibt sich eine Diskrepanz zwischen einer Vielzahl an operativen Aktivitäten und

Maßnahmen der Ministerien einschließlich ungezählter Änderungen des Rechtsbestands

unseres Landes, mit denen zahlreiche Lebensbedingungen der Bevölkerung dauerhaft

verändert werden einerseits, und der versäumten umfassenden Gefährdungserhebung der

Gesamtlage. Es liegen seitenlange Darstellungen mit Überschriften und Kurzbeschreibungen

alleine der Maßnahmen im Geschäftsbereich des BMI vor2. Wobei die ministeriellen

Arbeitsprozesse seit März 2020 vielfach als unprofessionell und unsolide eingestuft werden

müssen. Denn komplexe und auswirkungsstarke Gesetzentwürfe, die im

Ressortmitzeichnungsverfahren normalerweise innerhalb von mehreren Wochen fachlich

geprüft werden, und bei denen die jeweils zuständigen Referate weitere Parallelreferate oder

nachgeordnete Behörden unterbeteiligen müssen, wurden in den letzten beiden Monaten

vielfach mit „Verschweigefristen“ (die ohnehin in einer rechtlichen Grauzone liegen), innerhalb

weniger Stunden „ressortabgestimmt“. Das bedeutet: Eine angemessene fachpolitische

Prüfung kann nicht erfolgt sein. Der Prozess der Entscheidungsfindung über die von den

Ministerien erarbeiteten Vorlagen im Deutschen Bundestag kann, wenn man die Zeit

zwischen der abgeschlossenen Ressortabstimmung und der Verkündigung von Maßnahmen

und Gesetzen betrachtet, nicht sehr viel gründlicher gewesen sein.

2 Getroffene Maßnahmen im Geschäftsbereich des BMI, „Kurzdarstellungen wesentlicher Maßnahmen und

Themenfelder“, zuletzt 20 Seiten.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 62 von 83

Indirekt wird mit dieser Verfahrensweise die Risikolage bei Kritischen Infrastrukturen

deutlich verschärft. Denn für das vielfach miteinander verwobene und stark interdependente

Gesamtsystem von Kritischen Infrastrukturen sind Veränderungen a) sehr vieler

gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, die b) innerhalb kurzer Zeit erfolgen und die c) nicht

gründlich geplant und dann gut vorbereitet und planvoll realisiert werden, ein Problem. Es

entsteht eine Dynamik von Wechselwirkungen, die schwer einzuschätzen ist. Der Aufwand,

die Systemstabilität aufrecht zu erhalten, steigt. In der Konsequenz steigt die Verletzlichkeit

unserer Gesellschaft und es werden natürlich mittelfristig die Preise für kritische

Dienstleistungen steigen. Denn in der Regel werden alle zusätzlichen Aufwände (wegen

neuer Vorschriften und Auflagen) von den Anbietern und Betreibern an die

Kunden/Verbraucher weitergegeben (Strom, Gas, Wasser, Internet, …). Das wird schneller

bei Leistungen privater Anbieter/Betreiber wirksam, aber auch die zusätzlichen Aufwände für

staatliche Leistungen werden am Ende refinanziert werden müssen (z.B. über

Steuererhöhungen oder Corona-Sonderabgaben).

6.7 Exkurs Exit-Strategien

Es soll eine exit-Strategie des BMI geben (wurde schon vor Wochen in der Presse bekannt).

Gemeint ist der Ausstieg aus den Schutzvorkehrungen und Maßnahmen. Mit liegt sie nicht

vor. Das bedeutet, ich kann sie nicht auswerten. Aber auch alle anderen Kollegen, die sie

nicht kennen, können nicht damit arbeiten. Wenn sie verbindlich wäre, müsste sie als

Vorgabe bekannt gegeben werden, damit das gesamte Krisenmanagement auf die gleichen

Ziele hinarbeitet.

Wie sieht das aus der Sicht der Bevölkerung aus? Die Bevölkerung würde vielleicht

hinterfragen, warum es eigentlich einer Strategie für den Ausstieg aus Maßnahmen bedarf?

Sie müssten doch eigentlich nur beendet werden. Ist das überhaupt eine exit-Strategie, von

der die Rede ist, oder ist es eine Strategie, bei der das Ziel darin besteht, den Zeitpunkt und

die Dramaturgie des Ausstiegs z.B. nach politischen oder anderen Kriterien zu gestalten, zu

dosieren und ggf. zu strecken? Es gäbe sicherlich Gründe und Interessen, den exit zu planen.

Es kommt darauf an, welche Art von Interessen damit umgesetzt werden. Wenn es

Minderheiteninteressen wären, die sich gegen die Interessen des Gemeinwohls durchsetzten,

wäre das anders zu beurteilen, als wenn den Eigeninteressen der Gesellschaft zur Geltung

verholfen würde. Wenn die Strategie zu einer Verschleppung des exits führen sollte, so

könnte aus Bevölkerungssicht befürchtet werden, würde sich die Fallhöhe der Gesellschaft

erhöhen und der Schaden der Bevölkerung wachsen. Da jeder Tag zählt und Menschenleben

davon abhängen, sollte es erlaubt sein oder sogar geboten, die hier wirksamen Interessen

genau zu untersuchen und zu hinterfragen – z.B. durch den Krisenstab BMI-BMG.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 63 von 83

Aus professioneller Sicht des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe wäre sinnvoll

und hilfreich gewesen, eine exit-Strategie zu haben, die ein Instrumentarium dafür bietet, den

Zeitpunkt zu finden, zu dem die Kollateralschäden aus dem Ruder laufen und die zu

erwartenden Gesundheitsschäden beginnen zu übertreffen. Das ist schwierig, weil man auf

Prognosen angewiesen ist. Insofern kann es aber auch nicht schwieriger sein, als bei der

Entscheidung zugunsten von einschränkenden Schutzmaßnahmen – auch die basieren auf

nichts anderem als Vermutungen und Prognosen (siehe Auswertung der Beschlüsse der

Regierungen von Bund und Ländern vom 22. März 2020 in diesem Papier), die mehr oder

weniger plausibel sein können.

  1. Gegenüberstellung von Vorwissen und realem Handling des

Krisenmanagements 2020

Am Krisenmanagement war selbstverständlich nicht alles falsch (aber leider wesentliches).

Wenn man einmal von der Gefährdungsanalyse absieht, hat die Zusammenarbeit der

Ressorts untereinander und miteinander im Krisenmanagement recht gut funktioniert. Das gilt

sowohl für die Bundesbehörden und als auch für die Zusammenarbeit zwischen Bund und

Ländern. Zwar agierten die einzelnen Bundesländer als Träger der wichtigsten konkreten

Entscheidungen über Maßnahmen eigenständig und graduell differenziert, aber es kam nicht

zu extremen Alleingängen einzelner Länder sondern bildete sich ein sehr ähnlicher, eher

einheitlicher Umgang mit der Krise heraus.

In der gegenwärtigen Krise wurde vielfach das Agieren anderer Staaten als Vorbild oder

Muster herangezogen, obwohl wesentliche Rahmenbedingungen nicht vergleichbar sind.

DEU verfügt über eine sehr viel bessere Gesundheitsinfrastruktur als die meisten anderen

Länder und hat insbesondere höhere Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende,

lebensbedrohliche Erkrankungen als jeder andere Industriestaat. Auch die Datenlage, die für

die Ermittlung des Gefährdungspotentials wichtig ist, ist in DEU vergleichsweise umfangreich

und detailliert. Das alles war dem BMI bei Ausbruch der Krise bekannt. Dennoch waren die

Schutzmaßnahmen in DEU (im Vergleich zu anderen Industriestaaten) nicht etwa reduziert,

sondern besonders umfassend.

􀁸 In der Corona-Pandemie 2020 wurde zwar von Anfang an auf die Kompetenz von

Fachleuten zurückgegriffen. Allerdings sehr selektiv. Es wurden nur ausgewählte

Fachleute angehört, nur deren Auffassungen wurde beachtet. Die Fachexpertise aus

virologischen und immunologischen Spezialdisziplinen muss in die ganzheitliche

Gefährdungsanalyse und –bewertung einer Pandemie unbedingt eingehen, sie muss

in diesem Prozess jedoch mit anderen Faktoren abgeglichen werden. In der

Coronakrise wurden vom professionellen Krisenmanagement fachlich einseitige,

gefilterte Fachinformationen isoliert herausgegriffen und zum alleinigen Maßstab für

jede erfolgte Intervention gemacht. Da nützen einem die besten Spezialisten nichts.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 64 von 83

Sie kennen sich zwar in ihrem sehr begrenzten Kompetenzfeld gut aus, haben aber

nicht die erforderliche Einsicht in die komplexen Rahmenbedingungen die darüber

hinaus ein modernes Gemeinwesen prägen. In diesem Gemeinwesen sind

Einflussgrößen aus sehr vielen weiteren Spezialgebieten wirksam. Wie konnte das

Krisenmanagement annehmen, dass die medizinischen Experten des RKI dies

überblicken? Die Kollegen des RKI konnten von den Anforderungen und den

Erwartungen, die in der Krise an sie gerichtet wurden, nur hoffnungslos überfordert

sein.

􀁸 Ein Blick in die Beschreibung der Methode der Risikoanalyse macht die

Unbrauchbarkeit der Risikobewertung durch RKI deutlich:

Bei der Risikobewertung handelt es sich um eine deskriptive, qualitative Beschreibung. Denn für die

verwendeten Begriffe “gering“, „mäßig“, „hoch“ oder „sehr hoch“ liegen keine quantitativen Werte für

Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schadensausmaß zugrunde. Allerdings werden für die

Schwerebeurteilung ( = Schadensausmaß) genutzten drei Kriterien bzw. Indikatoren (Übertragbarkeit,

Schwereprofil und Ressourcenbelastung) mit jeweils quantifizierbaren Parametern beurteilt.“

(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung_Grundlage.html )

􀁸 Das heißt, die Kanzlerin und die MP der Länder haben ihre weitreichenden

Maßnahmen auf der Basis einer Risikobewertung getroffen, die Risiken nach in die

qualitativen Kriterien gering, mäßig und hoch beschreibt, ohne jede Größendimension.

Die Bewertung der Gefährlichkeit der Pandemie für unser Land bemisst das RKI nach

der Übertragbarkeit des Krankheitserregers, nach der Zahl von Infektionen und nach

dem Schwereprofil (u.a. Anteil Tote). Gesundheitsschäden durch Kollateralschäden

sind für RKI kein Kriterium, sie werden nicht erwähnt, obwohl dadurch größere Mengen

an Todesfälle entstanden sind, als durch Covid-19 (siehe Anlage zur Kurzfassung).

􀁸 Im Falle der Corona-Epidemie sind von der beteiligten Wissenschaft neben bewiesene

Wahrheiten auch Meinungen, Interpretationen und Prognosen bezogen worden, denn

auch die werden von einem verantwortungsbewussten Krisenmanagement benötigt.

Diese spekulativen Elemente (Vermutungen) waren sogar in wesentlichen

Entscheidungen handlungsleitend für das Krisenmanagement, insbesondere bei den

Entscheidungen über die für Bevölkerung und Wirtschaft belastende

Schutzmaßnahmen und solche Maßnahmen, die sich problematisch auf das

Sicherheitsniveau unserer Kritischen Infrastrukturen auswirken.

􀁸 In dem Pool sämtlicher Prognosen, Meinungen und Interpretationen dieser Welt, gibt

es solche, die sich im Nachhinein als näher oder weiter entfernt von der Wahrheit

erweisen werden. Im Falle der Bewertung der Gefahren des Corona-Virus für unsere

Gesellschaft werden wir das vermutlich in spätestens fünf Jahren zuordnen können.

Um heute im Krisenmanagement die besten Entscheidungen treffen zu können,

müssen wir möglichst viele verschiedene Meinungen, Interpretationen und Prognosen

anhören und sie sorgfältig abgleichen. Viel mehr als eine Plausibilitätsprüfung werden

wir nicht leisten können, aber die muss umso konsequenter durchgeführt werden.

Denn jede Prognose kann falsch sein, und wenn wir aufgrund voreiliger Limitierungen

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 65 von 83

nur solche Prognosen heranziehen, die sich im Nachhinein als falsch erweisen

werden, wird das im Falle dieser Coronal-Krise schlimme Folgen für unsere

Gesellschaft haben. Es kommt also bei der Auswahl sehr ernsthaft zu erwägender

Prognosen grundsätzlich nicht darauf an, wie beliebt eine bestimmte Prognose in

bestimmten Kreisen ist, wie bequem oder opportun sie für bestimmte politische oder

auch parteipolitische Ziele erscheint, und auch nicht, wie viele Menschen sie für am

wahrscheinlichsten halten, sondern ob wir genau diejenige Prognose(n) in unseren

Abgleich einbezogen haben, die der Wahrheit am Ende am nächsten gekommen sein

wird. Das heißt, es müssen alle Theorien geprüft werden, auch die auf den ersten Blick

abwegigen, denn auch unter ihnen kann am Ende der Treffer (der später erkennbaren

Wahrheit) sein. Das Krisenmanagement kann einen unvermeidbaren Fehler machen,

indem es seine Entscheidungen auf eine zwar plausible aber falsche Prognose stützt.

Das Krisenmanagement kann aber auch einen vermeidbaren Fehler machen, indem

es Prognosen versäumt in die ernsthafte Plausibilitätsprüfung einzubeziehen, unter

denen (im Moment unerkannt) die richtige ist.

􀁸 Ein Sicherheitskonzept kann nur dann als wissenschaftlich begründet und optimiert

gelten, wenn es den Selektionsprozess von Theorien nicht vorzeitig schließt, sondern

auch in der sich entwickelnden Krise noch laufend offenhält. Mit Blick auf die breite

Fachdiskussion im Internet und die darin diskutierten vielfältigsten Thesen, und im

Vergleich dazu das enge Spektrum der im Krisenmanagement einbezogenen Thesen,

müssen Zweifel daran bestehen, ob die Vorgabe der Wissenschaftlichkeit in der

Corona-Krise ausreichend realisiert wird.

􀁸 Die Auswahl der einbezogenen Wissenschaftler scheint einseitig zu sein. Die starke

Fixierung auf das Robert-Koch-Institut (RKI) und teils massive Abwertung von

wissenschaftlichen Gegeneinschätzungen durch RKI sowie die Öffentlichkeitsarbeit

der BReg führen dazu, dass nicht alle wissenschaftlichen Meinungen ausreichend

berücksichtigt werden.

􀁸 Bei dem Bemühen des Krisenmanagements um eine Bewältigung der Virus-Infektion

wurden Maßnahmen getroffen, die im Verlaufe der Krise zu einer eigenständigen

Gefahr geworden sind. Wir haben es in der Corona-Krise also mit zwei Gefahren zu

tun, die wir bewerten müssen, für die wir eine Risikoeinschätzung vornehmen müssen.

􀁸 Die Bedeutung von Ursache Wirkungsbezügen wurde in der Aufarbeitung des

Wissensstandes dargelegt. In der Coronakrise haben sich in der Arbeit des

Krisenstabs erhebliche Probleme offenbart, in der Gefahrenanalyse Ursache-

Wirkungs-Bezüge zu erkennen und folgerichtig auszuwerten. Insbesondere die

langfristigen Auswirkungen auf das Resilienz- und Sicherheitsniveau der Versorgung

mit kritischen Dienstleistungen blieben unbeachtet, bzw. wurden von anderen

Aspekten dominiert. Tatsächlich haben das Fachreferat KM4 und die nachgeordnete

Behörde BBK Auswirkungen im KRITIS-Bereich erfasst. Allerdings wurden

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 66 von 83

überwiegend nur Zustands- und Lageerhebungen zu aktuellen Zeitpunkten

durchgeführt, Prognosen wurde nicht abgegeben. Das geschah auch in dem

gemeinsamen Melde und Lagezentrum von Bund und Ländern, das vom BBK

betrieben wird. Aus diesem Kontext wurde in den Krisenstab hinein unregelmäßig

berichtet, schließlich stoppte der Krisenstab die Lieferungen und verzichtet seither

ganz darauf, obwohl gerade die Entwicklung bei Kritischen Infrastrukturen zu den

potentiell auswirkungsstärksten Bereichen gehört und viele absehbare Auswirkungen

erst mit zeitlichem Verzug, aber dann unaufhaltsam eintreten.

􀁸 Wichtig wäre eine Prognose über zu erwartende Ausfälle im KRITIS-Bereich gewesen

und natürlich eine Betrachtung des Gesamtgeschehens im KRITIS-Bereich. Es wäre

nicht nur erforderlich gewesen, eine umfassende Bewertung der Krisendynamik im

KRITIS-Kontext eigeninitiativ zu erstellen und dem Krisenstab zur Verfügung zu

stellen, sondern auch, dass der Krisenstab selbst diese Prognose und Einschätzung

anfordert. Beides ist so gut wie nicht geschehen. Die Analysen, die im zuständigen

Fachreferat KM4 dazu gefertigt wurden, wurden nicht beachtet und nicht weiter

transportiert. Der Mitarbeiter, der laufend dazu Analysen geschrieben und

Anforderungen formuliert hatte (und diesen Bericht verfasst hat), wurde nicht in das

Krisenmanagement eingebunden, so dass seine Möglichkeiten, im Verlaufe der Krise

zu überprüfen, ob die Belange des KRITIS-Schutzes ausreichend beachtet wurden,

schließlich kaum mehr gegeben war – Protokolle von Krisenstabssitzungen und interne

Strategiepapiere wurden zu Beginn der Krise noch so weit gestreut, dass auch KM 4

stets informiert war, später wurden nur noch Auszüge verschickt, die Anbindung an

das strategische Gesamtvorgehen wurde immer spärlicher. Das ist absolut

unverständlich angesichts der Tatsache, dass das reibungslose Funktionieren

Kritischer Infrastrukturen von allerhöchster Priorität sein müsste.

􀁸 Timing des deutschen Krisenmanagements: Nicht zuletzt aufgrund der

fehlerbehafteten Gefahrenbewertung kam das deutsche Krisenmanagement mit seinen

Aktivitäten bisher in jeder Phase der Coronakrise zu spät, es schiebt von Anfang an

eine überdimensionale Bugwelle von überfälligen Entscheidungen vor sich her. Im

Januar 2020 wurde versäumt, sich intensiv mit dem Virus in China auseinander zu

setzen, im Februar wurde unterlassen, Maßnahmen gegen eine Pandemie

vorzubereiten und im März hat man darauf verzichtet, eine aussagekräftige Daten für

eine belastbare Gefahrenanalyse und –bewertung zusammen zu tragen. Diese

Bugwelle gilt es jetzt abzubauen, denn im April steht offenkundig auf der Agenda der

notwendigen Taten, die stark in das öffentliche und private Alltagsleben und die

Rechte der Betroffenen eingreifenden Maßnahmen aufzuheben, insbesondere

o Kontaktverbote

o harte Wirtschaftsrestriktionen

o das Aussetzen des öffentlichen Lebens.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 67 von 83

􀁸 Heute wird sich vermutlich nachteilig auswirken, dass die Arbeiten an einer erneuerten

KRITIS-Strategie, trotz zeitig erfolgtem Arbeitsauftrag der BMI Hausleitung (in 2015),

jahrelang so erfolglos betrieben wurden. Die strategische Neuausrichtung und die

konkretere programmatische Ausgestaltung hätte unserem Land ein solides

Fundament schaffen können, um in einer Krise mit konkreten Maßnahmen schnell

nachzusteuern und das Sicherheitsniveau bestmöglich zu sichern. Da dies nicht

geschehen ist, wird die Aufgabe jetzt doppelt so schwierig.

􀁸 Rückschlüsse aus der Risikoanalyse von 2012, die nicht ausreichend beachtet

wurden:

o Eine wichtige Erkenntnis aus der Risikoanalyse 2012, dürfte sein, dass bei

jeglichen Maßnahmen stets mitgedacht werden muss, dass sich die ersten

Warnmeldungen als Fehlalarm herausstellen könnten. Denn wirksamen und

umfassenden Schutzmaßnahmen wohnt ein gewaltiges eigenes Schadpotential

inne (als Kollateralschaden). Dieses Schadpotential entfaltet vor allem bei

einem Fehlalarm und Überschätzung der gesundheitlichen Gefahren seine

fatale ironische Wirkung.

o Aus der Risikoanalyse hätte eine Sensibilisierung für das Problem der

Kollateralschäden erwachsen müssen, insbesondere im Fall eines Fehlalarms

oder einer zu hohen Gefahreneinschätzung. – Und das umso mehr, je mehr ein

Krisenmanagement die Nachlässigkeit begeht, einseitig bei den

gesundheitlichen Gefahren auf Nummer Sicher zu gehen, und die Gefahren, die

von den eigenen „Schutzmaßnahmen“ ausgehen, nicht angemessen zu

berücksichtigen und jede Kritik an der eigenen Arbeit statt zu überprüfen, zurück

zu weisen. In diesem Fall können aus staatlichen Schutzmaßnahmen, staatliche

Schädigungsmaßnahmen werden. 2020 haben wir noch die Chance, die

Strategie nachzujustieren und gemachte Fehler zu begrenzen.

o Fehler werden in einem komplexen Krisengeschehen immer gemacht. Es

kommt darauf an, wie mit den Fehlern umgegangen wird und ob noch im

laufenden Verfahren flexibel nachanalysiert und die Strategie wo nötig korrigiert

wird. Im Übrigen gibt es vermeidbare und unvermeidbare Fehler. Bei

unzureichender Datenlage diejenige Auswahlentscheidung zwischen zwei

ähnlich plausiblen Handlungsoptionen zu treffen, die sich im Nachhinein als

falsch erweist, ist ein unvermeidbarer Fehler. Sich nicht ausreichend sorgfältig

und vorausschauend um aussagekräftige Daten für eine plausible

Risikoeinschätzung zu kümmern und dann falsche Entscheidungen zu treffen,

ist ein vermeidbarer Fehler, der zu einem unverzeihlichen wird, wenn, um das

Gesicht zu wahren an falschen Entscheidungen festgehalten wird.

o Auch für die Möglichkeit, dass es eine Fehlmeldung vorliegt, muss ein

Krisenmanagement laufend eine Plausibilitätsprüfung vornehmen, und

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 68 von 83

umsteuern, sobald der Fehlalarm in den zyklischen Überprüfungen als die

plausiblere Wahrheit zu erkennen ist.

o In der 2012er Risikoanalyse heißt es im Szenario: „Neben der Information der

Bevölkerung treffen die Behörden, aufbauend auf bestehenden Plänen und

den Erfahrungen aus der Vergangenheit, Maßnahmen zur Eindämmung

und Bewältigung des Ereignisses. Krisenstäbe werden zeitnah einberufen

und übernehmen die Leitung und Koordination der Maßnahmen.“

Die Realität 2020 sieht etwas anders aus. Nicht die Behörden treffen

Maßnahmen, nicht die Krisenstäbe übernehmen Leitung und Koordination der

Maßnahmen, sondern die Politik trifft die Entscheidungen und die Krisenstäbe

finden gute Begründungen dafür. Auch das ist ein Problem des

Krisenmanagements in der Coronakrise. Die Rolle der Bundeskanzlerin und der

Ministerpräsidenten der Länder, die über keine Kompetenz und Erfahrung in der

operativen Entscheidungsfindung in komplexen Krisensituationen haben

(fachlich ohnehin eher nicht) und diese gar nicht haben können, führen das

Heft.

Damit kommt das administrative und ministeriale Rollenmodell zur Wirkung. Es

ist dann kaum noch möglich, eigene Impulse von den Behördenapparaten zu

erwarten. Die Behörden und Ministerialen spielen die Rolle, die sie immer

spielen weiter, sie versuchen so gut es geht zu erraten, was die politische

Führung glaubt und anstrebt und orientiert das eigene Veralten vollständig an

diesen Projektionen.

Für den Bereich des Trinkwassers wurden trotz der Benennung von

Lieferengpässen und Lieferketten als Schlagworte nicht vorausgesehen, dass

beim Fehler einzelner Komponenten ganze Systeme wegbrechen können. Das,

was sich aktuell als Problem bei der Trinkwasserversorgung abzeichnet ist eine

neue Erfahrung, für die es keine fertige Lösung aus den Übungen und

Simulationen gibt. Dieses Problem muss on the job gelöste werden – mit den

Leuten, die dazu in der Lage sind.

􀁸 Problematisch ist, dass wir es mit einem komplexen System von Kritischen

Infrastrukturen in DEU zu tun haben, das beim Ausfall nur einer einzigen wesentlichen

Komponente, den Rest des Systems ebenfalls zum Kollabieren bringen kann. Wenn

die Stromversorgung flächendeckend und länger anhaltend ausfällt, nützt uns die

weltbeste IT-Sicherheit nichts. Wenn das Internet nicht wie gewohnt verfügbar ist, ist

mit einer ähnlichen Kaskade zu rechnen. Ähnliches gilt für die Trinkwasserversorgung

und die Nahrungsmittelversorgung. Demgegenüber hätte realistisch betrachtet der Tod

von 200.000 Einwohnern (zufälliger Wert) durch einen neuen Krankheitserreger, oder

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 69 von 83

sogar der Tod von 1 Mio. Einwohnern im Rentenalter, kaum Auswirkungen auf die

Versorgung mit Kritischen Dienstleistungen – sowie die Funktionsfähigkeit des

innerstaatlichen Wertschöpfungsprozesses, die internationale Wettbewerbsfähigkeit

und die Stabilität der staatlichen Ordnung). Damit wird keine Bewertung von Menschen

vorgenommen, sondern Funktionen, Wirkungsweisen und reale Konsequenzen

werden veranschaulicht.

Wenn (ursprünglich) gesundheitliche Schutzmaßnahmen wie die der laufenden

Corona-Pandemie, zu einer Destabilisierung des Systems Kritischer Infrastrukturen

führen, kann das hingegen den Exitus unserer gesamten Gesellschaft bedeuten mit zig

Millionen Toten (vgl. Blackout der Stromversorgung) und natürlich der Aufhebung

jeglicher, nicht nur der staatlichen, Ordnung. Insofern ist es für das Krisenmanagement

unverzichtbar, die bereits eingetretenen, und die noch möglichen Auswirkungen der

Schutzmaßnahmen umfassend und objektiv zu erheben, um die Gefahren von a)

Erkrankungen und b) Schutzmaßnahmen vergleichen zu können und optimal darauf zu

reagieren.

􀁸 Die Rolle der Bundeskanzlerin, die einer gesonderten Untersuchung bedarf, war

vielfach nicht transparent, vielleicht sogar missverständlich, aber bei den Medien und

der Bevölkerung kam das Agieren der Kanzlerin gut an. Dieser Komplex müsste aus

drei Gründen näher untersucht werden: 1. Publikumsgefallen ist keine Garantie und

noch nicht einmal überhaupt ein Kriterium für richtige Entscheidungen. Mit ihm kommt

ein sachfremder Motivator ins Spiel, der anfällig für Fehlentscheidungen macht. 2.

Übergroße Zustimmung und Akzeptanz selbst für Unsinn erzielen zu können, birgt eine

große Gefahr für unser Gemeinwesen in sich. 3. Die nahezu durchgängige positive

Resonanz der Medien insbesondere auf jegliche Aktivität der Bundeskanzlerin, egal

was sie gerade ankündigte und wie und mit welchem Timing sie ihre Haltung zu

bestimmten Fragen als alternativlos darstellte oder auch änderte, bestätigt leider

negative Vorurteile über die Presse. Als Korrektiv für Fehlentwicklungen z.B. in einem

suboptimalen Krisenmanagement scheint der übergroße Teil der (freien) Presse mehr

oder weniger unbrauchbar. Aus gesamtstaatlicher Sicht muss das als Warnsignal

angesehen werden. Es empfiehlt sich sehr, bei künftigen Anpassungen der rechtlichen

oder Rahmenbedingungen auf eine wieder größere Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit

hinzusteuern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Presse die Regierung geschlossen

massiv einseitig und ungerecht kritisierte, und durch ihren Einfluss eine politische

Machtveränderungen einfach auslösen könnte, dürfte gegen null gehen. Die Gefahr,

dass die Bevölkerung alles glaubt, was sie von den meisten Medien serviert bekommt,

und sich dies unkritisch zu eigen macht, liegt sehr hoch.

􀁸 Bei der Risikoanalyse aus 2012 wurde der simulierte Pandemieverlauf vom RKI

beigesteuert. Die Daten waren als Fakten für das Planspiel gesetzt, sie wurden nicht

hinterfragt. Für ihr genaues Zustandekommen musste sich niemand der

Übungsbeteiligten interessieren. Für ein Planspiel, in dem eine einzige konkrete

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 70 von 83

Fallkonstellation hypothetisch durchgespielt werden soll, ist das eine praktikable

Begrenzung ansonsten unzähliger möglicher Fallkonstellationen. In der Coronakrise

hat sich das Krisenmanagement wie in einer Übung verhalten, es hat die Zulieferungen

von hochspezifischem fachlich-medizinischen Input inhaltlich nicht mehr hinterfragt.

Gegen Vorschläge, Anregungen und Forderungen von außen hat man sich

abgeschottet.

􀁸 Da nun alle Maßnahmen und alle Öffentlichkeitsarbeit (Krisenkommunikation) auf

einseitigem oder suboptimalem fachlichen Input beruht, sind leider alle Maßnahmen

und Entscheidungen des Krisenmanagements potentiell suboptimal. Das bedeutet

auch, dass in der größten Krise, die die Bundesrepublik je erlebt hat, der Staat

potentiell der größte Produzent von fake news war, gegen die er gerade in der Krise

vorzugehen propagierte. Damit hat er dazu beigetragen, dass ein wichtiges

Unterstützungspotential zur Bewältigung der Krise blockiert wurde.

􀁸 Die zwei Vorteile der Lage:

  1. Wir haben gerade Erfahrungen mit einer Krise gesammelt. Wenn wir diese

Erfahrungen zeitnah aufarbeiten, können wir von den gemachten Fehlern noch

lernen.

  1. Während wir bei der Coronalkrise mit einer Gefahr zu tun hatten, deren

Wirkmechanismen und Ursprünge wir nicht kannten, verfügen wir bei den neuen

Gefahren für die Kritischen Infrastrukturen (und darüber hinaus) über das volle

Wissen der auslösenden Momente und haben größtmögliche Kontrolle über die in

der Krise in Gang gesetzten Instrumente.

  1. Zwischenauswertung

Die vom Krisenmanagement zugrunde gelegte Datenbasis war und ist ungeeignet zur

Bewertung der Gefahrenlage für unsere Gesellschaft. Die Fixierung auf gesundheitliche

Parameter verstellte den Blick auf weitreichende Auswirkungen in anderen gesellschaftlichen

Bereichen.

Insbesondere eine systematische Erhebung der langfristigen Gefährdungslage im komplexen

Gesamtsystem Kritischer Infrastrukturen hat in der Lageberichterstattung, die Grundlage

von Entscheidungen war, nicht stattgefunden. Die Befassung mit einer Fülle an punktuellen

Einzelmeldungen aus den Branchen und Sektoren, sowie das akribisch-formalistische

Abarbeiten von zahlreichen Zuschriften/Einzelanfragen von Lobbygruppen und potentiellen

KRITIS-Betreibern im Tagesgeschäft des Krisenstabs konnten dieses Defizit nicht auffüllen,

sondern scheinen die strategische Arbeit der Gefahrenanalyse und –bewertung und die

Abwägung von Entscheidungen über Maßnahmen limitiert zu haben.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 71 von 83

Angesichts des (von mir ausführlich dargelegten) breiten Erfahrungsschatzes aus groß

angelegten Pandemieübungen und Risikoanalysen, und angesichts der umfänglichen

Erkenntnisse, die der Bevölkerungsschutz in den zurückliegenden Jahren konzeptionell und

systematisch erarbeitet hat, müssen die schweren Versäumnisse bei der Gefahrenanalyse

und –bewertung als methodisch-handwerkliche Fehlleistungen des Krisenmanagements

betrachtet werden. – Allerdings haben wir darüber hinaus eine Dynamik erlebt, die auch auf

(aus heutiger Sicht vielleicht suboptimale) rechtliche Rahmenbedingungen zurückgeführt

werden muss. Diese haben einen Automatismus ausgelöst, der alleine mit guten Willen kaum

mehr gebremst werden konnte und uns noch immer hemmt.

Die beobachtbaren Defizite im Krisenmanagement schlagen sich in der Konsequenz

unmittelbar in einer stark gestiegenen Gefahrenlage bei den Kritischen Infrastrukturen

nieder (siehe Kapitel 10).

Da sich das aktuelle Krisengeschehen in einem Transformationsprozess befindet, in dem es

übergangslos von der einen in die nächste und voraussichtlich länger anhaltende Krise

übergeht, erscheint dringend notwendig, die erste Phase bereits jetzt gründlich aufzuarbeiten.

Die vorliegende Analyse behandelt schwerpunktmäßig die Aspekte „Schutz Kritischer

Infrastrukturen“ und „Gefahrenbewertung“. Dies wäre ein Baustein neben anderen, die in der

Auswertung einbezogen werden müssten.

Es kann nicht darum gehen, vom Krisenmanagement hellseherische Fähigkeiten zu erwarten

und es danach zu bewerten, ob es unvorhersehbare Risiken vorab richtig eingeschätzt hat.

Vielmehr müssten alle vorgesehenen Verfahrensschritte sorgfältig beachtet werden und alle

möglichen Optionen genutzt werden, um die Gefahren so genau wie möglich zu ermitteln.

Das ist umso dringlicher geboten, als jedem Mitglied des Krisenmanagements spätestens im

Laufe der Krise bewusst gewesen sein muss, welche schwerwiegenden Schäden unserer

Gesellschaft durch die Schutzmaßnahmen entstehen würden und nunmehr tatsächlich

entstehen. Das gilt für jeden einzelnen Tag, der ohne Veränderungen ins Land geht.

  1. Beschluss der Kanzlerin mit den Länderchefs am 22. März 2020 im

Kontext der Ergebnisse dieser Analyse

Da die politische Spitze keine anderen Entscheidungen treffen kann, als im

Vorbereitungsprozess durch das Krisenmanagement erarbeitet worden sind, wurden die

Defizite des Krisenmanagements in den politischen Raum übertragen. Beispielhaft zeige ich

diesen Effekt an den Beschlüssen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der

Länder am 22. März 2020.

Die einzige Begründung, die die Regierungschefs von Bund und Ländern für die von ihnen

verfügten Maßnahmen und Einschränkungen von Rechten angeben, ist, dass die rasante

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 72 von 83

Verbreitung besorgniserregend sei. Es wird nicht dargelegt, wie die Gefahr von der

Bundesregierung oder den Länderregierungen oder sonstigen Stellen (z.B. Krisenstäbe, RKI,

…) eingeschätzt wird. Es wird überhaupt nichts zur Gefährlichkeit des Coronavirus gesagt.

„Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder

fassen folgenden Beschluss: Die rasante Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2)

in den vergangenen Tagen in Deutschland ist besorgniserregend. Wir müssen alles

dafür tun, um einen unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen zu verhindern und unser

Gesundheitssystem leistungsfähig zu halten. Dafür ist die Reduzierung von Kontakten

entscheidend,“ Quelle: Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen

und Regierungschefs der Länder am 22. März 2020

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/1733246/e6d6ae0e89a7ffea1ebf6f32cf472736/2

020-03-22-mpk-data.pdf?download=1

Das Ziel, einen unkontrollierten Anstieg von Fallzahlen zu verhindern, ist eine Aussage, bei

der nicht erkennbar wird, was genau sich dahinter verbirgt. Alle möglichen Fragen bleiben

unbeantwortet, z.B. was mit Fallzahlen gemeint ist, und was die Fallzahlen über die

Gefährlichkeit aussagen.

Auch die Qualifizierung der Ausbreitungsgeschwindigkeit als „rasant“, ist fragwürdig. Das

kann sich nur auf eine Mikrobetrachtung beziehen. Zu dem Zeitpunkt des Beschlusses lagen

– bezogen auf den Gesamtstaat, für den Maßnahmen verfügt wurden – keine Belege für eine

gefährliche Verbreitung vor. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit auf diesem Niveau kann kein

Ersatz- oder Hilfskriterium für Gefährlichkeit sein. Es gab laut Lagebericht des RKI vom

22.3.20 nur 18.610 bestätigte „Fälle“ (0,2 Promille der Bevölkerung), und 55 Verstorbene

(0,0006 Promille der Bevölkerung).

Die Regierungschefs nennen zwei Ziele zur Abwehr der befürchteten Gefahr:

  1. Verhindern eines unkontrollierten Anstiegs der Fallzahlen sowie
  2. Erhalten der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems.

Eines dieser zunächst gleichrangig genannten Ziele hatte offenbar Priorität: die Kontrolle des

Fallzahlenanstiegs. Die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen auf das

Gesundheitssystem als Ganzes wurden im Krisenmanagement weder gesondert

nachgehalten (z.B. im Monitoring des Krisenstabs BMI-BMG), noch wurde darauf besondere

Rücksicht genommen: z.B. wurde mit den dann konkret ausgeformten Vorschriften in Kauf

genommen, dass abgesagte oder verschobene OPs zu Schäden und Todesfällen führen

würden und u.a. die Kliniken und Reha-Einrichtungen um ihr wirtschaftliches Überleben

kämpfen müssen – mit entsprechenden Konsequenzen für die Versorgungskapazitäten.

In dem Beschluss wird eingeräumt, dass einschneidende Maßnahmen getroffen werden. Es

wird erklärt, dass der Grund darin läge, dass sie mit Blick auf das zu schützende Rechtsgut

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 73 von 83

der Gesundheit der Bevölkerung verhältnismäßig seien, obwohl eine seriöse

Verhältnismäßigkeitsprüfung gar nicht durchgeführt wurde.

Nach den Erkenntnissen der vorliegenden Analyse kann keine belastbare

Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt worden sein und auch die Notwendigkeit nicht

erwiesen gewesen sein, da nicht einmal eine belastbare Gefahreneinschätzung

vorgenommen wurde.

„Bund und Länder werden bei der Umsetzung dieser Einschränkungen sowie der

Beurteilung ihrer Wirksamkeit eng zusammenarbeiten. Weitergehende Regelungen

aufgrund von regionalen Besonderheiten oder epidemiologischen Lagen in den

Ländern oder Landkreisen bleiben möglich. Bund und Länder sind sich darüber im

Klaren, dass es sich um sehr einschneidende Maßnahmen handelt. Aber sie sind

notwendig und sie sind mit Blick auf das zu schützende Rechtsgut der Gesundheit

der Bevölkerung verhältnismäßig.

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder

danken insbesondere den Beschäftigten im Gesundheitssystem, im öffentlichen

Dienst und in den Branchen, die das tägliche Leben aufrecht erhalten sowie

allen Bürgerinnen und Bürgern für ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre

Bereitschaft, sich an diese Regeln zu halten, um die Verbreitung des

Coronavirus weiter zu verlangsamen.“

Quelle: Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und

Regierungschefs der Länder am 22. März 2020

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/1733246/e6d6ae0e89a7ffea1ebf6f32cf472736/2

020-03-22-mpk-data.pdf?download=1

Die Inhalte des Beschlusses wurden auch in einfacher Sprache verbreitet. Auch darin ist nicht

von einer Gefahr die Rede, sondern von einer „sehr ernsten Situation“.

„Das Corona-Virus verbreitet sich sehr schnell in Deutschland.

Das ist eine sehr ernste Situation.

Die Verbreitung vom Corona Virus muss unbedingt gestoppt werden.

Deshalb gibt es Regeln, wie sich die Menschen in Deutschland verhalten müssen. Die

Regeln gelten bis zum 19. April.“

Quelle: Bundesregierung im Internet. In einfacher Sprache: https://www.bundesregierung.de/bregde/

leichte-sprache/regeln-zum-corona-virus-vom-22-maerz-2020-1733310

Fazit – auf der Basis der in dieser Analyse gewonnenen Erkenntnisse – :

Die Maßnahmen waren nicht begründet.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 74 von 83

  1. Aktuelle und perspektivische Auswirkungen auf den Bereich

der Kritischen Infrastrukturen

10.1 IT-Sicherheit

Auswertung der „IT-Sicherheitslage, Ausgabe April 2020

In die Lageberichte des Krisenstabs sind Themenbereiche aufgenommen worden, die

eigentlich nicht zwingend nötig gewesen wären (Extremismus, Internationale Politik). Andere

Bereiche, die für die Beurteilung der Gefahrensituation für unsere Gesellschaft essentiell sind,

werden weiterhin nicht beachtet. Dazu die IT-Sicherheit, die im BMI ressortiert. Der reguläre

Monatsbericht des BSI erschien am 22. April, er macht eindeutige Aussagen zum

Coronakontext. Es wird deutliche gemacht, dass die Resilienz im IT-Bereich gesunken ist und

der Erfolg von Angriffen immer wahrscheinlicher wurde. Selbst Unternehmen oder

Einzelpersonen, die ihre IT-Sicherheit normalerweise gut im Griff haben werden von den

neuen Anforderungen an die IT überfordert, vernachlässigen Sicherheitsregeln und gehen

zusätzliche Risiken ein. Diese Situation wird von Angreifern gezielt ausgenutzt.

IT-Sicherheitslage, BSI, Ausgabe April 2020, Berichtszeitraum: März 2020, erschienen am

  1. April 2020

„Auswirkungen und Vorfälle auf die IT im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie:

Die Auswirkungen von SARS-CoV-2 durchdringen mittlerweile alle Lebensbereiche und

betreffen damit auch die Informationstechnologien. Die aktuelle Gesamtlage führt dazu, dass

auch eine normalerweise gut aufgestellte Organisation sich von einem erfolgreichen Cyber-

Angriff mit höherer Wahrscheinlichkeit nur schlecht oder gar nicht mehr erholen kann. Falls ein

solcher Angriff auf eine für die Bewältigung der Pandemie wesentliche Organisation gelingt,

können die daraus erwachsenden Konsequenzen beispiellose Auswirkungen auf die

Bevölkerung und die Wirtschaft haben. Darüber hinaus können die hier ausgeführten und

weiteren Kampagnen auch Einzelpersonen in einer besonders angespannten Lage treffen und

gravierendere Auswirkungen haben, als bisher üblicherweise beobachtet wurde. Es ist

anzunehmen, dass Angreifer auch im nächsten Berichtszeitraum ihre Kampagnen im Kontext

von COVID-19 fortsetzen und weiterentwickeln.“ (IT-Sicherheitslage, BSI, Ausgabe April 2020,

Berichtszeitraum: März 2020, erschienen am 22. April 2020)

Das BSI diagnostiziert einen Ausnahmenzustand in der Gesellschaft, der Angst und Panik

begünstigt.

􀁸 „Die COVID-19-Pandemie hat einen Ausnahmezustand hervorgerufen, der Angst,

Verunsicherung und Panik in der Gesellschaft und Wirtschaft begünstigt, was wiederum von

Angreifern ausgenutzt werden kann

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 75 von 83

􀁸 Durch die häufig abrupte Verlagerung von Beschäftigten und Geschäftsprozessen ins Home-

Office wird in zahlreichen Fällen die IT-Sicherheit zugunsten eines ad hoc funktionierenden

Home-Office vernachlässigt

􀁸 IT-Fachpersonal und IT-Sicherheitsdienstleister sind durch die geltenden Beschränkungen

nicht im normalen Umfang oder nur mit erhöhtem Aufwand verfügbar.

􀁸 Aufgrund der wirtschaftlichen Folgeerscheinungen der Pandemie sind bei vielen Unternehmen

die finanziellen und infrastrukturellen Sicherheitsvorkehrungen, um beispielsweise mit einem

Cyber-Angriff umzugehen, bereits ausgereizt

􀁸 Der veränderte Einsatz der IT-Infrastruktur durch eine Verlagerung ins Home-Office erschwert

die Unterscheidung von regulärem Nutzerverhalten und Angriffen“ (ebd. Seite 5)

BSI geht davon aus, dass mit den vermehrt aufgekommenen spezifischen Covid-19 Angriffe

noch längere Zeit zu rechnen ist.

10.2. Gefährdungen im Bereich der Trinkwasserversorgung

Die Trinkwasserversorger und ihre Verbände werden seit den ersten großen

Einschränkungen laufend im BMI vorstellig und bitten um schriftliche Bestätigung, dass sie

als KRITIS-Betreiber besonders wichtig sind und daher beim Bezug und der Belieferung von

bestimmten Produkten bevorzugt behandelt werden müssten, ihr Personal arbeiten können

muss und alle notwendigen Ausnahmengenehmigungen erhält, viele Einschränkungen für sie

nicht gelten sollen, usw., weil sie sonst ihre Kritischen Dienstleistungen nicht mehr

zuverlässig liefern können – die Versorgung mit dem wichtigsten, was der Mensch zum

nackten Überleben braucht, dem Trinkwasser. Der Bund und die Länder waren relativ

großzügig mit generellen Bestätigungen der hohen Bedeutung der Absender. Teilweise hat

das sogar Rechtsfolgen, die für die jeweiligen Kolleginnen und Kollegen nicht absehbar

waren, die die Briefe beantworteten. Denn der Bund hat keine Kompetenzen, eine Priorität

rechtsverbindlich und mit Folgewirkung festzustellen. Zuständig sind die Länder.

Der Bund verwies daher überwiegend an die Länder, mit manchen Lobbygruppen wie der

Jagd-Lobby ging die Korrespondenz und das Gerangel und Gefeilsche um Sonderrechte auf

allerhöchster Ebene munter weiter. Auf jeden Fall wurden und werden immer noch sehr viele

freundliche und verständnisvolle Briefe im Namen der Ministers, der Hausleitung oder des

Krisenstabs geschrieben, die viele Mitarbeiter des BMI und seiner nachgeordneten Behörden

sehr stark beschäftigt und ausgelastet haben. Viele Überstunden mussten gemacht werden,

jeder hielt sich und was er macht für wichtig. Die Kollegen sind wichtig, aber das ändert nichts

daran, dass zentrale Essentials der Krisenbewältigung vernachlässigt wurden.

Inzwischen schickt der BDEW, einer der großen Verbände der Trinkwasserbranche, seine

Lageberichte an den Bundes-Krisenstab (am 7.4. und 16.4.) und denen ist zu entnehmen,

dass aufgrund der Unterbrechung von Lieferketten bestimmt Produkte und Materialien künftig

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 76 von 83

nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sein werden, die für die störungsfreie Versorgung mit

frischem Trinkwasser unverzichtbar sind.

Die Lage bei der Kritischen Infrastruktur Trinkwasserversorgung ist keine Ausnahme. Allen

anderen Kritischen Infrastrukturen geht es ähnlich. Wir stehen vor einer Situation, in der

einzelne Kritische Dienstleistungen – örtlich oder überregional, kurz-, mittel- oder langfristig,

kompensierbar oder nicht kompensierbar – nicht mehr wie gewohnt zur Verfügung stehen

werden.

Wie bereits aufgezeigt, sind die Kritischen Infrastrukturen ein Gesamtsystem, dass nur so

stark ist, wie jede einzelne Komponente für sich betrachtet. Diese besondere Bedeutung

scheinen auf den ersten Blick nur einige herausragende Kritische Produkte zu haben, wenn

man diese aufzählen möchte, merkt man allerdings schnell, dass diese Liste noch beim

Sprechen immer länger wird, sie enthält z.B. die Stromversorgung, das Internet, Nahrung,

Trinkwasser, aber auch Logistik und so manches andere. Es gibt sogar Kritische

Infrastrukturen, die als solche bisher gar nicht angesehen wurden und sich erst in dieser Krise

als solche erweisen (Funktionsfähigkeit des innerstaatlichen Wirtschafts- und Arbeitslebens

z.B.).

Das bedeutet in der Konsequenz, dass durch die Maßnahmen zum Schutz vor dem

Coronavirus nicht nur einzelne punktuelle Lücken eintreten können, sondern die Risiken

eines Systemkollapses steigen.

Die beschriebenen Probleme werden nicht nur kurzfristig bestehen. Es ist derzeit nicht

absehbar, wann die Lieferketten wieder so reibungslos wie früher funktionieren werden.

Für den Bereich Trinkwasser sieht es so aus:

􀁸 Die Trinkwasserversorgung in DEU ist sehr vielfältig und sehr heterogen strukturiert.

Eine Reihe großer und sehr großer Betreiber in bestimmten Ballungsräumen, aber

auch sehr viele kleinere bis kleinste Anbieter. Große Wasserunternehmen verfügen

teilweise über ein professionelles eigenes Krisenmanagement, bei kleinen fehlt das

völlig.

􀁸 Die Trinkwasserversorger sind derzeit dabei, ihren Betrieb auf vollautomatisierten und

digitalen Betrieb der Trinkwasserversorgung umzustellen, in vielen Bereichen ist das

schon geschehen. Das erhöht die Abhängigkeit von Stromversorgung und Internet und

erhöht damit die Versorgungsrisiken. Diese Risiken wurden und werden weiter

eingegangen, weil es wirtschaftlicher ist. Der Staat hat bisher nicht interveniert. Ich

habe einige kritische Vermerke geschrieben, das war’s.

􀁸 Der Staat ist im Rahmen der Daseinsvorsorge verpflichtet, seiner Bevölkerung

Trinkwasser anzubieten. Vertragspartner auf der staatlichen Seite sind in der Regel die

Kommunen. Wenn es zu Ausfällen kommen sollte, haben Bürgermeister und Landräte

ein Problem – sie haften.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 77 von 83

􀁸 Regionale und temporäre Engpässe und Lieferausfälle können ersatzweise mit

Tankfahrzeugen kompensiert werden, die das Wasser aus anderen Regionen

heranfahren. Bei einer flächendeckenden Lage ist das sehr viel schwieriger. Die

bundesweiten Gesamtkapazitäten bieten äußerst begrenzten Spielraum. Wenn der

erschöpft ist, fehlt das kostbare Gut und muss in Form von Mineralwasser-

Trinkflaschen beschafft werden. Wir haben in den letzten Wochen erfahren, was es

bedeutet, wenn die Menschen den Eindruck haben, sie müssten besonders begehrte

Produkte sofort und in größeren Mengen als üblich kaufen (WC-Papier, …). In

deutschen Supermärkten müssten Wasserflaschen rationiert abgegeben werden. Es

müssten wirksame Sicherheitsvorkehrung getroffen werden.

􀁸 Als Rückfallposition könnte man an die sogenannten Notbrunnen nach dem

jahrzehntealten Wassersicherstellungsgesetz denken. Dieses ressortiert im BMI, das

BBK übernimmt die Durchführung (Fachaufsicht: KM 4). In Kriegszeiten und sogar in

zivilen Katastrophenlagen – das ist eine Sonderkonstruktion in diesem

Sicherstellungsgesetz (normalerweise ist das strikt getrennt) – soll die Bevölkerung im

Notfall mit Trinkwasser versorgt werden. Es gibt in ganz Deutschland etwa 5000

Notbrunnen. Die Qualität des Wassers ist gegenüber der Normalversorgung deutlich

reduziert, aber es reicht zum Überleben. Was nicht reicht, ist die Menge an

Notbrunnen. Es sind viel zu wenige. Schon die Vorstellung, dass die Berliner

Bevölkerung in langen Menschenschlangen anstehen sollte, um aus den zu wenigen

und nicht durchgehend funktionsfähigen Handschwengelpumpen, die über das

Stadtgebiet verteilt sind, ihr Trinkwasser eigenhändig zu fördern, macht deutlich, dass

die Notbrunnen keine Alternative sein werden.

Am 24. April 2020 wurden durch die Abteilung KM unter Mitarbeit des BBK die wöchentlichen

Lageberichte des Bundesverbandes Energie und Wasser (BDEW) ausgewertet. Sie zeigen

symptomatisch für alle Kritischen Infrastrukturen, dass die Resilienz unserer Gesellschaft

gesunken und Verletzlichkeit gestiegen ist. Dieser Befund bestätigt die Bewertung der ITSicherheit

durch BSI vom 22. April 2020(s.o.). Mit Ausfällen örtlicher Trinkwasserversorgung

ist jederzeit zu rechnen. Daran ist ablesbar, das eine Dynamik in Gang gesetzt worden ist, die

schwer kalkulierbar ist. Bis heute gibt es kein Monitoring des Status Quos kritischer

Infrastrukturen in DEU. Dieses müsste regelmäßiger Bestandteil eines Lageberichts

sein.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 78 von 83

Für die Aufgabe Schutz Kritischer Infrastrukturen ergibt sich nunmehr folgende Bewertung:

zeitlicher

Beginn

Gegenstand der Gefahr Risikopotential für KRITIS

(Einschätzung vom 24.04.2020)

Ende 2019 gesundheitliche Gefahren durch den neuen Coronavirus

(Covid-19, SARS-CoV-2) (Gesundheitskrise); u.a. Risiken für

die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen

niedrig bis sehr niedrig

seit etwa

Mitte März

2020

multiple Gefahren unterschiedlicher Art, die durch

Maßnahmen, die zum Schutz vor den gesundheitlichen

Gefahren ergriffen wurden, ausgelöst werden (Wirtschaftsund

Gesellschaftskrise); u.a. Risiken für die Versorgung mit

kritischen Dienstleistungen

hoch bis sehr hoch

  1. Was ist zu tun?

mit unmittelbarem KRITIS-Bezug

  1. Gefahrenanalyse und –bewertung: Derzeit liegt keine belastbare Bewertung der

Gefahren für unsere Gesellschaft vor – weder für die Gefahren durch den Covid-19

Virus, noch für die Gefahren durch Kollateralschäden aufgrund der ergriffenen

Schutzmaßnahmen. Die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen kann ebenso wenig

festgestellt werden, wie deren Entbehrlichkeit. Das macht Veränderungen im

Krisenmanagement dringend erforderlich (siehe Punkt 4 „Empfehlungen für den

Krisenstab“). Dieser Zustand wirkt sich u.a. auf das Sicherheitsniveau und die

Verletzlichkeit von Kritischen Infrastrukturen aus.

  1. Wir haben in der Krise an Widerstandfähigkeit und Widerstandkraft vor Störungen

im KRITIS Bereich eingebüßt (Resilienz). Um unsere Resilienz annähernd auf das

frühere Niveau zurück zu bringen, wäre wünschenswert, die Lebens- und

Arbeitsbedingungen von vor der Krise wieder herzustellen und möglichst wenig

Veränderung beizubehalten. Denn ein großer Umfang an Veränderungen, die nicht in

einem geplanten organischen Prozess erreicht wurde, bedeutet bei Kritischen

Infrastrukturen stets Instabilität und unkalkulierbare Risiken. – Derzeit liegt keine

belastbare Bewertung der Gefahren für unsere Gesellschaft vor. Für die ergriffenen

Schutzmaßnahmen kann so keine Notwendigkeit festgestellt werden. liegt keine Es Ob

die ergriffenen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz notwendig sind, ist daher nicht

bekann. gesundheitliche bewertung einschätzung. Es kann für die Notwendigkeit noch

die Entbehrlichkeit von Schutzmaßnahmen eingeschätzt werden. vor, so dass der

Zeitpunkt Ob der richtige Zeitpunkt bereits gegeben ist, lässt sich nicht sagen, solange

keine belastbare Gefahreneinschätzung vorliegt.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 79 von 83

  1. Handwerklich-methodisch zum KRITIS-Schutz: Für die Zuteilung von

Schutzausrüstung und Sonderrechten wird es dauerhaft eine Priorisierung geben

müssen, die deutlich differenzierter ist, als bisher in der Krise praktiziert (fast

unterschiedslos). Es muss eine Prioritäten-Hierarchie gebildet werden, die innerhalb

von Branchen aber auch zwischen den Branchen Vorrangigkeit und Nachrangigkeit

definiert. Der Aufwand alleine dafür ist groß und erfordert qualifiziertes Personal, das

im benötigten Umfang nicht zur Verfügung steht. Trotzdem muss sofort an diese

Aufgabe herangegangen werden, weil Verteilkonflikte zwischen Kritischen

Infrastrukturen, die bereits jetzt ausgetragen werden, in Kürze stark zunehmen werden

und der Staat unter Entscheidungsdruck gerät.

Es ist zu empfehlen, das Personal des BBK umgehend zu erhöhen, damit der Bund

die Länder und Kommunen bei dieser Aufgabe unterstützen kann mit

Handreichungen und Beratung. Die Länder erwarten vom Bund zumindest eine

Koordinierungsfunktion. Diese Aufgabe ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen.

Wenn die Priorisierung von Strukturen und Prozessen bei den Betreibern Kritischer

Infrastrukturen und bei der Aktivierung von Personal und anderen Betriebsmitteln für

die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen ebenso unprofessionell erfolgen sollte,

wie das überforderte Krisenmanagement und die nicht minder überforderten

Regierungen in der Coronakrise, so wird uns das zahlreiche zusätzliche –

vermeidbare! – Tote kosten.

  1. Empfehlungen für den Krisenstab

􀁸 Es müsste kurzfristig eine fundierte Manöverkritik im Krisenstab und den sie

berührenden Stellen durchgeführt werden, um die weitere Arbeit zu verbessern.

􀁸 Eines der größeren Versäumnisse stellt die Zusammensetzung des Krisenstabs

dar, der bis heute alleine aus BMI und BMG besteht. Es fehlen alle Ressorts, in

deren fachlichen Verantwortungsbereichen sich der Kollateralschaden abspielt. Der

Krisenstab sollte künftig den Gefahren entsprechend zusammen gesetzt werden

􀁸 Die Krise ist nicht vorbei! Ein Krisenmanagement wird auch dann noch dringend

gebraucht, wenn die Gefahr der Virusinfektion weitgehend gebannt ist. Die

Bestandsaufnahme hinsichtlich der Kollateralschäden und die Organisationen der

Reparaturen derselben müssen von einem Krisenmanagement gesteuert werden

und die Gefahrenlage muss weiterhin eng kontrolliert werden, nicht zuletzt wegen

der enorm erhöhten Verletzlichkeit, die jederzeit eine akute Krise auslösen könnte,

z.B. im Bereich der Kritischen Infrastrukturen.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 80 von 83

􀁸 Im Krisenstab muss die Gefahrenanalyse und bewertung professionalisiert

werden. Auswirkungen auf Kritische Infrastrukturen müssen angemessen

abgebildet werden. Wie das funktioniert, habe ich in diesem Bericht ausführlich

beschrieben (Systematik der Gefahrenbewertung mit Checklisten, etc.). Die

Einschätzung, was als Restrisiko vertretbar ist oder nicht, wird eine Gesellschaft

nicht alleine unter medizinischen Gesichtspunkten treffen können.

􀁸 Sofort muss damit begonnen werden, entscheidungsrelevante Datenkategorien zu

ermitteln und die zugehörigen Daten zusammenzutragen und auszuwerten.

􀁸 Für die Einschätzung der gesundheitlichen Gefahren müssten künftig alle

verfügbaren Quellen ausgeschöpft werden, um Einseitigkeit und blinde Flecken zu

vermeiden. Die in Anlage 7 (https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/#latest)

zusammengestellten fachlichen Positionen und wissenschaftlichen Erkenntnisse

über den Coronavirus müssten verifiziert werde. Viele legen nahe, dass die

Gefährlichkeit des Virus überschätzt wurde. Es müsste geklärt werden, was von

den im Umlauf befindlichen Informationen belastbar ist, und was nicht. Es sollte

nach jedem brauchbaren Baustein gefahndet werden, der unseren Kenntnisstand

verbessern kann.

􀁸 Lagebilder müssen, um aussagekräftiger zu werden, auf die Übersicht über die

zentralen Gefahrenbereiche erweitert werden, die dann in einer Kurz- und einer

Langfassung dargestellt werden können. Schon aus dem Lagebild muss ein

Vergleich zwischen bezweckten Effekten und ungewollten Kollateralschäden

möglich sein.

􀁸 Das Monitoring der Entwicklung im Bereich der Kritischen Infrastrukturen muss

integraler Bestandteil des Berichtswesens (Lagebilder) sein. – Dieser Punkt ist eine

Kernanforderung aus der Perspektive des Schutzes Kritischer

Infrastrukturen, die in diesem Bericht zuständigkeitshalber eingenommen wird. Er

steht in dieser Aufzählung trotzdem erst (fast) am Ende, weil seine Sinnhaftigkeit

und Wirksamkeit von der Umsetzung der vorgenannten Schritte abhängig ist.

􀁸 Der Krisenstab müsste sich darum kümmern, den Einfluss von Interessen- und

Lobbygruppen jeglicher Art auf die Entscheidungsfindung des

Krisenmanagements zu ermitteln und zu neutralisieren. Es muss ausgeschlossen

sein, dass vom Krisenmanagement andere, als dem Gemeinwohl verpflichtete Ziele

verfolgt werden. Jede Fehlentscheidung kostet Menschenleben.

200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 81 von 83

mit indirektem KRITIS-Bezug

  1. Beendet werden müssen nicht nur die Maßnahmen, sondern insbesondere die

Stimmung, die von öffentlichen Stellen und den Medien bis heute verbreitet wird und

als Alarmismus wahrgenommen wird. Dieser Alarmismus muss unverzüglich

eingestellt werden. Denn mit einer durch die Maßnahmen der letzten Wochen nicht

nur etwas belasteten, sondern schwer traumatisierten Bevölkerung werden wir den

zweiten, sehr viel länger andauernden Teil der Krise viel schwerer bewältigen, als den

ersten.

Es wird daher nicht damit getan sein, den Alarmismus ab einem Zeitpunkt x zu

beenden und Normalität zuzulassen. Man kann Normalität nicht einfach in gleicher

Weise wie einschränkende Maßnahmen erlassen und verfügen. Die Ängste, vor allem

die überschießenden irrationalen Ängste und die daraus resultierenden veränderten

Verhaltensweisen, werden nicht automatisch verschwunden sein, wenn die

Maßnahmen gelockert werden. Die in den vergangenen Wochen gemachten

Erfahrungen haben sich im Gemüt vieler Menschen festgesetzt und es ist noch nicht

absehbar, welche Folgen das haben wird. Wie werden die Kinder und Jugendlichen

davon geprägt worden sein. Nicht jede Reaktion auf das Aussetzen der berechenbaren

Normalität verläuft vordergründig, stürmisch oder vehement. Mancher wird es in sich

hineinfressen, vielleicht krank werden, andere tragen ab jetzt möglicherweise ein tiefes

Misstrauen gegenüber Menschen und staatlichen Institutionen in sich. Das meiste wird

sich voraussichtlich unbewusst und für die Umwelt kaum erkennbar abspielen – was

nicht heißt, dass es minder wirksam sein wird. Was bedeutet das für die

Innovationskraft unserer jungen Generation, auf die wir angewiesen sind?

  1. Die schwierigste Aufgabe wird es sein, verlorenes Vertrauen zurück zu erlangen.

Vertrauen in einen zuverlässig den Bürger schützenden Staat, der für diese wichtige

Leistung legitime Eingriffe und Einschränkungen vornehmen darf. Dieser Staat hat in

der Coronakrise in geradezu grotesker Weise versagt. Er muss, wenn er Vertrauen

wiedergewinnen will, nicht nur umkehren, sondern offen mit seinen Fehlleistungen

umgehen, sie einräumen und aufarbeiten, sonst werden dem Staat und dem

politischen System möglicherweise die eingetretenen systemischen Fehler nicht

nachgesehen.

Es gibt zwar noch eine Verhaltensalternative, die diente jedoch nicht den Interessen

der Bevölkerung und des Gemeinwesens, sondern denen einzelner Personen oder

Gruppen: Die Politik könnte versuchen sich zu rechtfertigen, die Administration könnte

unterstützend statistische Verfahren verändern, Zahlen umdeuten und versuchen

nachzuweisen, dass sie alles auf geniale Weise richtiggemacht hat. In diesem

Alternativmodell würde mit der aktivierten hohen Verunsicherung und Angst der

Menschen weiter gearbeitet, kritische Stimmen würden einschüchtert und es würde auf

die Wirkung sozialen Gruppenanpassungsdruck spekuliert werden. Diese Option birgt

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gleichermaßen hohe Risiken für die Gesellschaft, als auch für die Personen, die sich

für sie entscheiden.

  1. Jede Krise hat ihre Profitteure, was nicht per se etwas Verkehrtes ist, aber diese

Gruppe wird versuchen, ihre Partialinteressen mit geeigneten Mitteln durchzusetzen,

vielleicht auch gegen die Interessen der Allgemeinheit. Dem muss entgegen getreten

werden.

Die Rückkehr zur Normalität bedeutet auch, alle eingeleiteten längerfristig

angelegten Projekte müssten zurückgefahren werden, wenn sie nicht der Rückkehr

zur gewohnten Normalität dienen. Sie haben ihren Sinn verloren und blockieren

Ressourcen, die jetzt für wichtigeres dringend benötigt werden. Bei jedem Projekt,

dass weitergeführt werden sollte, muss man sich bewusstmachen, dass die dafür

notwendigen Ressourcen aus dem kleiner gewordenen zivilgesellschaftlichen Kapital

beglichen und zuvor erwirtschaftet werden müssen.

Einer der größten Aktivitätsposten geht auf die Intensivierung von digitalen

Kommunikations- und Interaktionstechnologien zurück, sei es für Telearbeiter, virtuelle

Klassenräume oder neuartige Bürger- und Unternehmens-Services, für die

vorübergehend reduzierte Sicherheitsanforderungen galten. Diese Entwicklung

beizubehalten bedeutete nicht nur eine starke Veränderung der Alltagskultur, sondern

auch eine noch stärkere Abhängigkeit als bisher von Kritischen Infrastrukturen sowie

einen graduellen Verlust an Persönlichkeitsschutz (z.B. in Bezug auf

personenbezogene Daten, sowie weitere Betrugs, Missbrauchs- und

Manipulationsgefahren). Wir würden unsere Zivilgesellschaft in einer Phase niedriger

gesellschaftlicher Resilienz noch einmal zusätzlich schwächen. Auch hier wird der

Versuch insbesondere der Politik möglicherweise groß sein, Erwartungen von

Geschäftspartnern nicht zu enttäuschen. Und auch hier zeigt sich, dass die Zukunft

unserer Gesellschaft von dem Gewissen unserer Politiker abhängt, denen wir in einer

Demokratie während ihrer Amtszeit eine hohe Autarkie und faktische Macht zubilligen.

Schlussbemerkung

Dieser Bericht ist eine Momentaufnahme und kann natürlich nur einen begrenzten Ausschnitt

der Wirklichkeit behandeln. Wichtiger als ihn perfekt zu machen, war, dass er fertig wird. Er

enthält daher noch einige Redundanzen und Ungenauigkeiten. Ich hoffe sehr, dass dieser

Bericht dennoch einen produktiven Beitrag zum Krisengeschehen leisten kann.

  1. Vorwort 2

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  1. Einführung

1.1 Aufgaben und Arbeitsweise des Referats KM 4

1.2 Warum diese Auswertung?

1.3 Wen und was meine ich mit „Krisenmanagement“ in diesem Bericht?

1.4 Der Schutz Kritischer Infrastrukturen

1.5 Referat KM4 als Ressource bei der Krisenbewältigung

  1. Wie waren das BMI (und die BReg) auf die Krisensituation vorbereitet?

2.1 Hinweise und Warnungen in früheren Arbeiten zum Bevölkerungsschutz

2.2 Hinweise und Warnungen in Publikationen, Broschüren und Reden

  1. Auswertungen früherer Übungen

3.1 Lükex 2007

3.2 Auswertung der Risikoanalyse aus 2012 und Bezüge zur aktuellen Krise

  1. Hat der Staat bisher genug für den Schutz Kritischer Infrastrukturen getan? Und wenn nein, was hindert

ihn daran?

  1. Was hätte bei der Gefahrenbewertung beachtet werden müssen?

5.1 Anleitung zur Gefahrenbewertung mit Checkliste

5.2 Wie hätte eine Gefahreneinschätzung (gesundheitliche Gefahren) nach Plausibilität ausgesehen?

5.3 Plausibilitätsprüfung für die Gefährdung durch den Corona-Virus mittels Gegenüberstellung von

Todesursachen

5.4 Elemente einer Plausibilitätsprüfung für die Auswirkungen einer Wirtschaftskrise auf die Pflege

5.5 Ansätze einer Plausibilitätsprüfung aus Perspektive der Bevölkerungsentwicklung

5.6 Exkurs Lebensqualität im Alter und Sterblichkeit

  1. Auswertung der Erfassung von Daten, die für Gefährdungsbewertungen und Entscheidungen über

Maßnahmen herangezogen wurden

6.1 Auswertung der BMI Lageberichte (bis 7. April 2020)

6.2 Auswertung des neuen Lagebildes des Krisenstabs von BMI und BMG (ab 8. April 2020)

6.3 Ergänzende Auswertung einer neueren Ausgabe des Lageberichts des gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG

– Konkret untersuchte Fassung vom 22. April 2020

6.4 Auswertung der Rahmenvorgaben zum Krisenmanagement

6.5 Zwischenbilanz der Bundesregierung

6.6 Könnte es eine Gefahrenanalyse und –bewertung außerhalb des Lageberichts des Krisenstabs gegeben

haben oder geben?

6.7 Exkurs Exit-Strategien

  1. Gegenüberstellung von Vorwissen und realem Handling des Krisenmanagements 2020
  2. Zwischenauswertung
  3. Beschluss der Kanzlerin mit den Länderchefs am 22. März 2020 im Kontext der Ergebnisse dieser Analyse
  4. Aktuelle und perspektivische Auswirkungen auf den Bereich der Kritischen Infrastrukturen

10.1 IT-Sicherheit

10.2. Gefährdungen im Bereich der Trinkwasserversorgung

  1. Was ist zu tun?

Schlussbemerkung

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1

Anlagenband zum „Auswertungsbericht“ vom 7. Mai 2020

Anlage 1

Aufgaben des Referats KM 4 (abgerufen: 17. April 2020):

Quelle: inet Seite für die Organisationseinheit Referat KM 4 (abgerufen am 17.4.2020):

https://inet.intern.bmi/Seiten/referatkm4.aspx

„Referat KM 4, Schutz kritischer Infrastrukturen

AUFGABENBESCHREIBUNG

Das Referat KM 4 befasst sich mit dem Schutz Kritischer Infrastrukturen als einem besonderen

Teilgebiet des Bevölkerungsschutzes. Hierbei geht es um den Schutz von Organisationen und

Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder

Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der

öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Gefährdet sind

Kritische Infrastrukturen nicht nur durch terroristische Anschläge, sondern auch durch

Naturkatastrophen, besonders schwere Unfälle, IT-Angriffe sowie technisches und/oder

menschliches Versagen. Da die Mehrzahl der für unsere Gesellschaft als kritisch zu betrachtenden

Infrastrukturen im Besitz privater Betreiber ist, arbeiten Staat und Wirtschaft Hand in Hand, um den

wirkungsvollen Schutz dieser Anlagen, Einrichtungen und Systeme sicherzustellen.

Referat KM 4 ist im BMI für übergreifende Themen und Anliegen im Zusammenhang mit dem

Schutz Kritischer Infrastrukturen zuständig. Zu seinen Aufgabengebieten gehören insbesondere:

􀁸 Aufbau eigener Bewertungskompetenz zum Schutz Kritischer Infrastrukturen und daraus

entwickelte Initiativen sowie Stellungnahmen in Beteiligungsverfahren

􀁸 Strategische Grundlagenarbeit zum Schutz von Kritischen Infrastrukturen vor sämtlichen

Gefahren

􀁸 Hinwirken auf die Konsistenz des Schutzes wegen Interdependenzen der verschiedenen

Sektoren Kritischer Infrastrukturen miteinander

􀁸 Federführung für Konzepte und Strategien, wobei die fachlichen Zuständigkeiten der

Abteilung CI für den Schutz von Informationsinfrastrukturen und für den Schutz Kritischer

Infrastrukturen vor Cyber-Gefährdungen unberührt bleiben

􀁸 Zusammenarbeit mit anderen Bundesministerien, den Ländern, der EU, den Betreibern

Kritischer Infrastrukturen und mit Verbänden sowie mit sonstigen betroffenen Institutionen

􀁸 Supra- und internationale Angelegenheiten zum Schutz Kritischer Infrastrukturen,

insbesondere Point of Contact in der EU-Kontaktgruppe für den Schutz Kritischer

Infrastrukturen, die die Fortschreibung und Umsetzung des Europäischen Programms für

den Schutz Kritischer Infrastrukturen (EPSKI) einschließlich der Richtlinie 2008/114/EG

betreibt

􀁸 Mitwirkung bei der Gesetzgebung zu bereichsspezifischen Rechtsgrundlagen sowie zum

Bevölkerungsschutz

2

Referat KM 4 übt die Fachaufsicht über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und

Katastrophenhilfe (BBK) aus, soweit Belange Kritischer Infrastrukturen berührt sind. Das BBK

erarbeitet v. a. methodologische Grundlagen, etwa für die Identifizierung Kritischer Infrastrukturen,

Risiko- und Gefährdungsanalysen sowie Maßnahmenpläne zum Schutz Kritischer Infrastrukturen

unter Berücksichtigung eines All-Gefahren-Ansatzes.

Im Kontext der Zivilen Verteidigung bearbeitet bzw. koordiniert Referat KM 4 die Anpassungen der

Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze (eigene Federführung bei der Wassersicherstellung), die die

Aufrechterhaltung der Grundversorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte im Spannung- und

Verteidigungsfall bzw. im zivilen Krisenfall zum Gegenstand haben.

Für die Sicherstellung des Schutzes ziviler oder zivil-militärischer Objekte, deren Ausfall die zivile

Verteidigungsfähigkeit nachhaltig einschränken würde, bearbeitet Referat KM 4

ressortübergreifend und gemeinsam mit den Ländern die Objekterfassungs- und die

Objektschutzrichtlinien.

Referat KM 4 ist darüber hinaus für den Schutz / die Sicherung von kerntechnischen Anlagen,

Einrichtungen und Transporten im Hinblick auf mögliche Gefährdungen durch terroristische oder

kriminelle Anschläge / sonstige Handlungen zuständig. Die Aufgabenschwerpunkte in diesem

Bereich sind Folgende:

􀁸 Gefährdungsbewertungen bei aktuellen Vorkommnissen, Lagebilder; ggf. Ausrufen von

Gefährdungsstufen gemäß Rahmenplänen

􀁸 Gremienarbeit, v. a. Bund-Länder-Gremien zur Sicherung von kerntechnischen Einrichtungen

(KoSikern; AK Sicherung)

􀁸 Entwicklung von / Mitwirkung bei Rahmenplänen, Sicherungskonzepten, Rechtsnormen (z.

  1. RENEGADE-Rahmenplan KKW)

􀁸 Mitwirkung bei EU-und internationalen Initiativen / Projekten (z. B. CBRN)

􀁸 Referat KM 4 übt in diesem Aufgabenbereich bezüglich der Gefährdungsbewertungen und

Lagebilder die Fachaufsicht über das BKA, Referat ST 54, aus.“

aus der inet – Seite der Abteilung KM:

„Als Teilgebiet des Bevölkerungsschutzes wird der Schutz Kritischer Infrastrukturen im Referat KM 4

bearbeitet. Kennzeichnend sind die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und den Bundesressorts

sowie Koordinierungs- und Steuerungstätigkeiten. Unabhängig hiervon ist KM 4 auch für den

Schutz/die Sicherung von kerntechnischen Anlagen, Einrichtungen und Transporten im Hinblick auf

mögliche Gefährdungen durch terroristische oder kriminelle Anschläge und sonstige Handlungen

zuständig.“ https://inet.intern.bmi/Seiten/abteilungkm.aspx